Königskind
ob er in der Unterdrückung des Triebes nicht
zu weit gegangen ist.«
»Die Herrschaften sind beunruhigt!« rief ich. »Das wurde auch Zeit! Und wieso, zum Teufel, auf einmal die Sorge?«
»Das versteht sich doch von selbst! Hinsichtlich der spanischen Hochzeit natürlich!« sagte Fogacer. »Welchen Einfluß kann
die spanische Infantin, wenn sie Königin ist, ausüben, wenn ihr Mann sich ihr nicht nähert?«
»Ach, was für ein Machiavellismus!« rief ich empört. »Da stecken sie einen Menschen erst in den Mörser, zerstampfen ihm Leib
und Seele und wundern sich hinterher, wenn er ihren Wünschen nicht entspricht!«
»Wie dem auch sei«, sagte Fogacer, »einer der Herren …«
»Den Ihr nicht nennen wollt«, sagte La Surie.
»… machte den Vorschlag, Ludwig vorher eine erfahrene Frau zuzuführen, bei der er seine Messer schärfen lernt, damit er sich
nicht an einer
donzella
beweisen muß.«
»Und weil dieser Sprecher Italiener war«, sagte La Surie, »kann es sich nur um den Nuntius handeln.«
|343| »Still, Miroul«, mahnte ich.
»Aber Pater Cotton«, sagte Fogacer, »verwahrte sich gegen den Vorschlag. Er hält es für sicher, daß der König nicht bereit
wäre, mit einer Frau zu sündigen, die nicht seine Gemahlin ist.«
»Da haben wir’s!« sagte La Surie.
»Bitte, Chevalier!« sagte ich stirnrunzelnd.
»Die Herrschaften«, fuhr Fogacer unerschütterlich fort, »kamen schließlich zu der einmütigen Überzeugung, daß der König den
Stachel des Fleisches nicht stark genug fühlt, um seine Scham zu überwinden. Von da aus gelangten sie zu der Frage, ob in
diesem Fall nicht ein Element wirke, das vielleicht der Prüfung bedürfte, um sicherzugehen, ob Ludwigs Abneigung gegen Frauen
heilbar oder womöglich unheilbar ist.«
»Mein Gott«, sagte ich, »was soll der Wortschwall? Was für ein ›Element‹ meint Ihr?«
Fogacer rückte seinen Stuhl vom Tisch ab, streckte seine endlosen Beine von sich und zauderte ein Weilchen, die Augen geschlossen,
die Hände über dem Bauch gefaltet, ehe er antwortete. Und als er sich dazu durchrang, öffnete er weit seine durchdringenden
Augen unter den diabolisch gesteilten Brauen, richtete sie auf mich und sagte in samtigem Ton: »Ludwigs Freundschaft für Luynes.«
Mir verschlug es die Sprache, hatte ich recht verstanden? Aber der Ton, den Fogacer dem Wort ›Freundschaft‹ gab, und meine
Kenntnis des Mannes ließ keinen Zweifel offen.
»Fogacer!« rief ich voller Zorn, »das ist schändlich! Ludwigs Freundschaft für Luynes ist rein von jedem Verdacht! Und der
Gedanke, daß sie anders als rein sein könnte, ist dem kleinen König nicht einmal im Traum gekommen, dafür lege ich meine Hand
ins Feuer!«
Während ich mit solcher Erregung sprach, beobachtete Fogacer mich aus scharfen Augen, dann lächelte er sein langsames, gewundenes
Lächeln und sagte befriedigt: »Ich habe also Eure Antwort, und freimütig, aufrichtig, frisch aus dem Herzen. Ihr unterschätzt
Euch, mein junger Freund, wenn Ihr glaubt, daß Ihr imstande wäret, über jemanden zu lügen, der Euch so nahe steht wie Ludwig.«
* * *
|344| Die Königinmutter konnte nicht umhin, die Besorgnisse ihrer Verbündeten zu teilen. Außerdem stellte sich ihr und ihren Ministern
die Frage, ob Ludwig genötigt werden sollte, die Ehe mit der Infantin gleich nach ihrer Ankunft zu vollziehen, oder ob man
diesen Vollzug besser aufschöbe in Anbetracht beider Jugend, ihrer gemeinsamen Unerfahrenheit, der Scheu Ludwigs vor dem schönen
Geschlecht und seiner offenbaren Abneigung gegen die Nation, der seine Gemahlin entstammte.
Bei längerer Diskussion erschien ein Aufschub der fleischlichen Vereinigung politisch gefährlicher als ihr Vollzug, weil ersterer
den erklärten Gegnern der spanischen Hochzeiten zu sehr in die Hände gespielt hätte: den Hugenotten, den Großen, dem Pariser
Parlament und den Gallikanern. Würde man nicht überall tuscheln, diese Ehe sei verdammt, eine Scheinehe zu bleiben, weil der
König die spanische Gemahlin ablehnte, die ihm von der Königinmutter aufgezwungen wurde, indem sie den Willen des seligen
Königs zynisch mißachtete? Andererseits ließ man denselben Gerüchten freie Bahn, wenn man Ludwig den sofortigen Vollzug seiner
Ehe abverlangen und er bei diesem Unterfangen scheitern würde. In diesem Fall jedoch wäre die Scheinehe immerhin nur eine
Vermutung und keine verhängnisvolle Gewißheit.
So kam es, daß Ludwigs Hochzeitsnacht zu
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