Königskind
Gesundheit |357| sei zu anfällig, um jenen Pflichten zu genügen. Schöne Leserin, hören Sie das? Diese Frau von so geringem Verstand urteilte
über die Urteilskraft ihres Sohnes!
War nun die mütterliche Geringschätzung aller Welt bekannt, so sprachen sich Ludwigs Empfindungen dabei niemals aus, mit keinem
Wort, keiner Haltung, nicht einmal mit einem Blick. Weil die Mutter trotzdem ahnte, daß hinter diesem glatten Gesicht Groll
und Vergeltung brodelten, fügte sie all den Fehlern, die sie ihrem Sohn zuschrieb, bekanntlich noch einen hinzu: er sei heimtückisch.
Schlimmer noch, wie es seine Drohung gegen Condé bewies: er sei gewalttätig. Man mußte sich also vor ihm in acht nehmen, ihn,
wer weiß, sogar noch mehr zügeln.
Manchmal war der Zwang, den Ludwig sich bei diesen Besuchen der Königinmutter auferlegte, die selten eine Viertelstunde überschritten,
zu stark. Das Blut stieg ihm zu Kopfe, Übelsein befiel ihn, es kam vor, daß er ohnmächtig wurde. In Marias Augen ein zusätzlicher
Beweis, daß ›seine Gesundheit nicht stark genug war, um die Geschäfte des Reiches zu führen‹.
Seit er verheiratet war, kam zu den Besuchen bei der Königinmutter einer bei der Königin hinzu, der nur zehn Minuten dauerte.
Jedesmal empfand ich einiges Mitleid mit der kleinen Anna von Österreich. Sie bemühte sich so sehr, ihrem Gemahl zu gefallen.
Und es gelang ihr so wenig.
Dabei war sie nicht etwa unschön. Die Prinzessin Conti, die sich bekanntlich für den Ausbund aller Schönheiten Frankreichs
hielt, bemängelte ihre ›lange spanische Nase‹ und ihre ›pummelige‹ Taille. Aber schließlich, gestand sie zu, war sie erst
vierzehn, und wenn ihre Nase auch nicht kürzer würde, könnte ihre Taille sich noch strecken. »Und, liebe Güte!« setzte sie
hinzu, »reiner Teint, Kirschmund, lebhafte Augen, ich finde sie, wie sie ist, ganz ansehbar.«
Ich aber, der ich nicht nach so strengem Kanon urteilte, fand die kleine Königin ziemlich hübsch. Und ich mochte das Flämmchen
von Koketterie und Fröhlichkeit, das für Momente in ihren schönen Augen sprühte und ihre Lippen halb öffnete. Ich bin mir
auch gar nicht sicher, daß Ludwig dafür unempfindlich war, er, der Madame immer so zärtlich an sich gedrückt hatte. Wenn er
sie nicht länger besuchte, so zweifellos, |358| weil ihr Anblick ihn an ein schmachvolles Versagen erinnerte. Aber vor allem, weil ihr weiblicher Hofstaat ihm die größte
Abscheu und Verachtung einflößte.
Dieser nämlich verdarb alles vollends. Als der Austausch der Prinzessinnen verhandelt wurde, einigten sich Frankreich und
Spanien darauf, daß das Gefolge jeder der künftigen Königinnen nicht mehr als dreißig Frauen ihres Heimatlandes umfassen solle.
Die französische Seite hielt sich an die Begrenzung, die spanische nicht. Als Anna von Österreich in Bordeaux eintraf, stellte
man fest, daß ihr Hofstaat aus über hundert Damen bestand.
Es wäre besser gewesen, hätte man sich auf die Abmachungen berufen und zwei Drittel dieses Gefolges nach Burgos zurückgeschickt.
Aber auch da siegte der Kleinmut. Um einen so mächtigen Schwiegervater wie Philipp III. nicht zu kränken, beschied man sich,
die überflüssigen Jungfern in Frankreich zu behalten.
Man biß sich die Finger wund. Zuerst gab es großes Kopfzerbrechen, um sie alle unterzubringen, sowohl auf der Reise wie dann
in Paris, denn wie ein Bienenschwarm an seiner Königin, klebten alle an ihrer kleinen Herrin und stießen Schreckensschreie
aus, sowie man sie um ihrer Bequemlichkeit willen von ihr trennte und anderswo unterbrachte.
Schlimmer noch, als adlige Töchter und meist noch sehr jung, waren sie gemäß der strengen Disziplin und Etikette der spanischen
Habsburger erzogen worden. Als sie sich in Frankreich auf einmal von diesen Zwängen befreit fühlten, glaubten sie, ihnen sei
alles erlaubt, und ließen ihrem Überschwang freien Lauf, schwatzten wie die Elstern, lachten wie Fischweiber, stellten tausend
Albernheiten an und zeigten Achtung vor nichts und niemand.
Einige, frecher noch als unsere Pagen – und das will etwas heißen –, erlaubten sich am französischen Hof kleine Schäbigkeiten,
Diebstähle und böse Streiche. Zu Blois wagten sie es, aus dem königlichen Vogelkäfig einen wunderhübschen Hänfling zu rauben,
den der König liebte, weil er so ›besonders zahm‹ war, und niemand hat je erfahren, was sie mit ihm machten, denn er wurde
nicht
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