Königskind
zu werden.
Ihr Unbehagen vermehrte sich, als sie von Luynes hörte, daß der Vater Franz II., Heinrich II., vorzeitig bei einem Lanzenstechen
gestorben war, weil ihm ein abgebrochener Lanzenschaft in die Schläfe gedrungen war. So langsam mit der Zunge, so rasch im
Verstehen, erfaßte Ludwig Annas Gedanken, lächelte und versuchte, sie mit Luynes’ Vermittlung zu ermutigen: seine Gesundheit
sei gut, Turniere seien in Frankreich längst nicht mehr in Mode, und vor niedrigen Türen ziehe er immer den Kopf ein.
Als Ludwig sie, und sei es scherzhaft, über die Dauer ihrer Verbindung beruhigte – was meines Erachtens gar nicht in seiner
Absicht lag –, errötete sie vor Freude, denn da sie zwar verheiratet, aber Jungfrau war wie zuvor und sich seltsam allein
gelassen fühlte von ihrem Gemahl, begann Anna an ihrer Zukunft am französischen Hof zu zweifeln.
Ihre Erleichterung nahm zu, als der König ihr sagen ließ, er gebe ihr jetzt Zeit, sich zu erfrischen und vielleicht umzukleiden,
doch werde er sie abholen lassen zum Souper, das er sie bat, mit ihm gemeinsam einzunehmen. Bei dieser höflichen Bitte leuchtete
Annas Gesicht vor so offener Freude, daß der König gerührt schien. Und nach großen Reverenzen einerseits und andererseits
gingen sie auseinander.
Dies geschah am achtzehnten April 1616, und das Datum ist in meinen Aufzeichnungen doppelt unterstrichen, warum, will ich
sagen. Schöne Leserin, ich glaubte meinen Ohren nicht zu trauen, als ich von Héroard erfuhr, daß dies das erste Mal war, daß
König und Königin miteinander speisten.
»Wie?« sagte ich baff. »Das erste Mal! Das erste Mal seit dem einundzwanzigsten November vorigen Jahres! Das erste Mal, daß
sie seitdem miteinander zu Tisch gehen?«
»Wer wüßte das besser als ich?« sagte Héroard kühl. »Ich habe den König keinen Tag verlassen seit seiner Hochzeit.«
Ich mußte mich schon auf seine Zeugenschaft verlassen, |364| und, ehrlich gesagt, es gab mir zu denken. Denn es zeigte unübersehbar, wie wenig die Königinmutter, die keine Mühe gescheut
hatte, die spanischen Hochzeiten zustande zu bringen, sich aus der Verbindung ihres Sohnes und seiner Frau machte, nachdem
sie einmal vermählt waren. Denn – ich wiederhole es, so sehr betrübt mich die Geschichte! – hätte diese seelenlose Person
nicht, wie Luynes, Begegnungen unter vier Augen zwischen König und Königin arrangieren können und müssen, damit sie sich überhaupt
erst kennenlernten, anstatt sie kurzerhand wie Hund und Hündin zusammenzustecken, ohne Rücksicht auf ihr zartes Alter?
Es war halb acht, als Ludwig und Anna sich einander gegenübersetzten, und die Mahlzeit verlief sehr angenehm, Ludwig bewies
einige Galanterie, und Anna ging in ihrem Wunsch zu gefallen so weit, daß sie erklärte, von jetzt an wolle sie sich alle Mühe
geben, Französisch zu lernen. Nachher geleitete Ludwig sie an seiner Hand zu ihrem Zimmer und blieb auch ein Weilchen bei
ihr, aber nur so kurz, daß Luynes enttäuscht war.
Später erzählte er mir, daß er sich an jenem Tag in falschen Hoffnungen gewiegt habe. Aber man konnte ja schwerlich, sagte
er, den Pflug vor die Ochsen spannen. Und er meinte, Anna würde wohl erst an dem Tag wirklich Ludwigs Frau werden, an dem
er wirklich König würde. Mag sein, dachte ich, aber dann dürfte die böse Fee nicht dabeisein und wieder ihren furchtbaren
Schatten über das Bett ihres Sohnes werfen.
* * *
Auf meiner Rückkehr von dieser endlosen Reise in den Süden klopfte mir das Herz zunehmend, je näher ich Paris kam, ebensosehr
vor riesiger Freude, Frau von Lichtenberg wiederzusehen, wie vor Bangen, wie sie mich wohl empfangen werde. Der Grund dafür
war, daß ich ihr, weil wir so lange in Tours blieben, zuletzt die Adresse mitgeteilt hatte, unter der sie mir auf meine unzähligen
Briefe antworten konnte. Und sie schrieb mir auch, aber in einer Weise, daß mir das Herz gefror, so knapp, so steif und kühl.
Gewiß sagte ich mir, das käme vielleicht nur von ihrer Vorsicht, denn es war stark anzunehmen, daß ein Brief an einen Ersten
königlichen Kammerherrn von |365| den Agenten der Königinmutter geöffnet und gelesen wurde. Trotzdem schien mir, daß eine so glühend Liebende, wie sie es bei
meiner Abreise von Paris gewesen war, mich durch irgendein Wort der Gefühle hätte versichern können, die sie für mich hegte.
Aber ich mochte diesen kleinen Brief, so kurz und kalt, auch hundertmal lesen,
Weitere Kostenlose Bücher