Königskind
bestand. Unerwähnt
lasse ich die französischen Garden, die unterwegs über ihre Sicherheit wachten: dieser Schild störte den König nicht im geringsten.
Er war es zufrieden, Anna in so einfacher Begleitung und ohne die befürchteten Ungelegenheiten zu sehen. Man merkte es daran,
wie er sie empfing, als ihre Karosse auf der Schloßterrasse |361| anlangte. Amboise war ja keine königliche Residenz mehr, so daß Luynes als Gastgeber auftrat, und seine Gegenwart war äußerst
nützlich, denn da er Okzitanisch sprach, verstand er ziemlich gut Spanisch und diente als Dolmetsch. Anna, der die Fahrt längs
der Loire Freude bereitet und der die Aprilsonne, wenn auch blasser und dunstiger, das spanische Licht in Erinnerung gerufen
hatte, war ganz Liebenswürdigkeit und Lächeln, und was mich angeht, fand ich sie mehr als ›anseh bar ‹, denn ihr glühender Wunsch zu gefallen, verschönte sie.
Zugegen waren außer den drei Ersten Kammerherren (der vierte, Concini, vernachlässigte sein Amt ungescheut), Monsieur de Souvré,
Doktor Héroard und auch Bellegarde, den Luynes eingeladen hatte, weil er der einzige Herzog und Pair war, den Ludwig gerne
sah. Nachdem Ludwig Anna auf beide Wangen geküßt hatte, gab es unsererseits eine Menge Kniefälle und protokollarische Küsse
auf den Saum des königlichen Kleides. Aber nach diesen Zeremonien wurde die Begegnung familiärer, Ludwig faßte seine Gemahlin
bei der Hand und zeigte ihr das Schloß, indem er ihr erzählte – vielmehr von Luynes erzählen ließ –, welche Könige und Königinnen
dort gelebt hatten.
Im Lauf dieser Unterhaltung zeigte es sich, daß Anna sich vor allem für die Königinnen interessierte und namentlich für Anna
von Bretagne, und als sie deren Kapelle Saint-Hubert bewunderte, sagte ihr Luynes, daß Karl VIII. diese für seine Gemahlin
hatte erbauen lassen. Doch ließ ihr Karl noch eine zweite Kapelle im Herrensitz Le Clos-Lucé einbauen, der eine halbe Meile
entfernt liegt, weil es dort stiller war als im Schloß.
»Y porqué dos oratorios?«
1 fragte Anna.
»Por lo que la reina era muy piadosa.«
2
»Yo tambien«
, 3 sagte Anna etwas prahlerisch, was den König verwunderte, weil er, obwohl auch er fromm war, nie daran gedacht hätte, sich damit zu brüsten.
Dann fragte Anna, mit wieviel Jahren Anna von Bretagne verheiratet wurde.
»Catorce años«
, 4 sagte Luynes.
|362|
»Mi edad!«
1 sagte Anna vergnügt.
»Leider«, sagte Ludwig, »wurde sie mit neunzehn Jahren Witwe.«
»Sire, soll ich das übersetzen?« fragte Luynes zweifelnd.
»Sicher!« sagte der König. »Die Königin hat das Recht auf Wahrheit.«
Luynes übersetzte, und Anna wurde traurig.
»Pobrecita!«
2 sagte sie.
»Was heißt das?« fragte Ludwig.
»Ihre Majestät die Königin bedauert von ganzem Herzen die Königin Anna.« Wie man sieht, eine recht lange und diplomatische
Form, ein einziges Wort zu übersetzen.
»Dann sollte die Königin auch Karl bedauern«, sagte Ludwig. »Erzählt ihr, wie er starb, weil er mit dem Kopf gegen einen niedrigen
Türsturz geprallt war.«
Luynes übersetzte, und Anna meinte auf spanisch, der König hätte eben den Kopf einziehen sollen.
Während Luynes dies ein bißchen betreten übersetzte, wahrte Ludwig eine undurchdringliche Miene, ich denke aber, die naive
Offenheit seiner Frau dürfte ihn ergötzt haben.
Im sogenannten Zimmer Heinrichs II. erklärte Luynes auf Ludwigs Bitte der Königin, daß die in der Fensterleibung in Stein
gehauenen Pilgerstäbe samt Quersack und Beutel die Pilger symbolisierten, die auf dem Weg nach Compostela in Amboise Rast
machten und denen Anna von Bretagne, weil sie so
piadosa
war, für eine Nacht Tisch und Bettstatt bot.
Unsere Anna lauschte dem erbaulichen Bericht voll Andacht, doch Leben kam in ihre Augen, als Luynes ihr sagte, die Truhe unter
dem Fenster sei die Schmuckschatulle der Maria Stuart gewesen.
»Y donde están ahora las joyas?«
3
Luynes erklärte ihr, daß Maria mit dem französischen König Franz II. vermählt war und daß sie, als er an einer Lungenentzündung
starb, nach Schottland heimkehrte und ihren Schmuck mitnahm.
»Y a qué edad llegó a ser una viuda
?
« 4 fragte Anna.
|363|
»Diez y ocho años«,
1 sagte Luynes.
»Ma qué desgracia!«
2 sagte die Königin, und plötzlich verdüsterte sich ihr junges Gesicht, als ginge ihr durch den Sinn, daß man als Gemahlin eines französischen Königs Gefahr lief, in der
Blüte der Jugend Witwe
Weitere Kostenlose Bücher