Königskind
ich fand nichts als distanzierte Höflichkeit.
Ich mochte mir noch so oft sagen, daß Ulrike als Deutsche, in einem kalvinistischen Land aufgewachsen, vielleicht gar nicht
darin geübt war, ihre Empfindungen schriftlich auszudrücken. Der Gedanke vermochte mich aber keineswegs zu trösten. Die Angst,
die mich für Augenblicke überkam, sie verloren zu haben, überzeugte mich, daß es schon so war. Und die Eifersucht, die mich
früher gepeinigt hatte, indem sie mich in Bassompierre und sogar in ihrem Sohn einen Rivalen erblicken ließ, erwachte neu,
und ich spann mir schreckliche Romane aus, die alle auf der Leichtfertigkeit und Verräterei bauten, welche die Tradition –
und auch die Heilige Schrift – der liebreicheren Hälfte der Menschheit zuschrieb. In meinem verdüsterten Sinn war gerade dieses
liebreiche Wesen verdächtig: als hätte nur das starke Geschlecht die Stärke, treu zu sein!
Ich schrieb ihr zur selben Minute, da ich unser Haus in der Rue du Champ Fleuri betrat. Das Billett, das mein Laufbursche
mir als Antwort auf meines brachte, enthielt nur das Wort: »Kommen Sie.« Dieser Lakonismus schmetterte mich nieder. Und mein
Vater, der mich blaß werden sah, nahm das Blatt, das ich fallen ließ, und warf einen Blick darauf.
»Na nun!« sagte er, indem er Wein eingoß und mir das Glas an die Lippen hielt, »Ihr wollt doch nicht ohnmächtig werden? Was
ist denn geschehen? Frau von Lichtenberg sagt Euch, Ihr sollt kommen, sie hat es so eilig, Euch zu sehen, daß sie nur ein
Wort hinschreibt: was ist daran Schlimmes?«
»Ach!« sagte ich matt, »wenn sie hinter dieses knochendürre ›Kommen Sie‹ wenigstens ein Ausrufezeichen gesetzt hätte! Dann
hätte ich verstanden, daß ich mich beeilen soll, aber so?«
»Aber Pierre«, sagte mein Vater lächelnd, »Ihr seid von Sinnen! Dieses ›Kommen Sie‹ heißt, Ihr sollt kommen, ob mit oder ohne
Ausrufezeichen … Bei allen Heiligen, sucht doch nicht Mittag im Dunkeln! Lauft, lauft! Oder gebricht Euch der Mut vor einer
so schrecklichen Feindin? Wer sagt denn, daß sie |366| Euch nicht sehen will, wenn sie ihr ›Kommen Sie‹ wie im Galopp hinwirft und keine kostbare Minute für ›Eure Dienerin‹ und
andere hohle Floskeln vergeudet? Um Himmelswillen, Herr Sohn, soll sie erst noch viel plaudern, wenn sie Euch erwartet?«
Das brachte mich zurück ins Leben. Ich umarmte meinen Vater und wollte in die Kutsche springen, die zum Glück angespannt stand,
aber Poussevent und Pisseboeuf futterten erst gemächlich Brot und Wurst aus der Hand. Ich drang in sie, mich so schnell wie
möglich zu meiner Gräfin zu fahren. Die Käuze überstürzten sich aber nicht, warfen sich Blicke zu und brummelten dies und
das auf okzitanisch, ehe sie sich bequemten, doch tat ich, als verstünde ich sie nicht. Schließlich mußte ich sie nicht bedauern,
weil ich wußte, Herr von Beck würde sie, wie stets bei meinen Besuchen, mit einem Mahl, würdig der Freßsäcke vom Hofe, verwöhnen.
In der Rue des Bourbons empfing mich Herr von Beck mit seiner umständlichen Pfälzer Höflichkeit und, wie mir schien, einer
gewissen Kühle. Aber vielleicht lag das an mir, weil ich seine Komplimente abkürzte und rundweg fragte, wie es seiner Herrin
gehe.
»Sie ist krank, Herr Chevalier«
antwortete er mit einer Miene wie ein Ankläger.
»Wieso krank, Herr von Beck? Ist es schlimm?«
»Das weiß ich nicht, Herr Chevalier«,
sagte er.
»Arzt bin ich ja nicht.«
1
Da er mir so wortkarg und zugeknöpft kam, war ich auf das Schlimmste gefaßt, als von Beck, nachdem er angeklopft hatte, mich
in Ulrikes Zimmer führte. Aber die Stimme meiner Schönen aus den geschlossenen Bettgardinen, die mich hieß, den Riegel vorzulegen,
beruhigte mich. So klang keine Kranke: dafür war die Stimme zu freudig und sehnsuchtsvoll. Ich lief an ihr Bett, schlug die
Vorhänge auf, sie streckte mir die Arme entgegen, die gelösten schwarzen Haare umflossen ihre Schultern, und aus dem trauten
Halbdunkel des Baldachins trafen mich ihre großen, glänzenden, aber gewiß nicht vor Fieber glänzenden Augen. Es war ein Glück,
das mich binnen einer unaussprechlichen Minute für alles Bangen, Phantasieren und |367| Herzdrücken entschädigte, das mich seit ihrem so grausam kurzen Brief nach Tours gequält hatte. Was nun folgte – für mein
Gefühl das Beste, was es auf Erden gibt –, kam ohne Worte aus und bedarf auch keiner Beschreibung.
Als nach den Stürmen
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