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Königskind

Königskind

Titel: Königskind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R Merle
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beschließen soll. Alles macht ihr angst. Sie mißtraut allen, am meisten aber ihrem Sohn. Sie denkt
     sogar daran, die Macht aufzugeben. Nachdem sie das Fürstentum Mirandola nicht bekommen hat, verhandelt sie jetzt mit dem Papst
     über das Herzogtum Ferrara.«
    »Eines verwundert mich an der gegenwärtigen Lage«, sagte ich. »Concini ist bald in Paris und bald in Caen. Was hat das zu
     bedeuten?«
    »Das kommt von seinem unruhigen Geist«, sagte Déagéant. |426| »Er zaudert zwischen zwei Rollen: der des ungekrönten Königs zu Paris und der eines Herzogs oder Prinzen in seinem Gouvernement
     Normandie, das er derzeit befestigt, als wäre er ein Herzog von Nevers im Nivernais. Unter anderem bewehrt er auf große Kosten
     Quillebeuf und Pont-de-l’Arche und rühmt sich, damit werde er den ›Schlüssel Frankreichs‹ besitzen, weil er ›über den Strom
     gebiete, von dem Paris lebt‹. Eine dumme Angeberei, denn die Hauptstadt wird ebenso stromauf versorgt wie stromab. Und er
     hat sich fünfundzwanzig Kanonen aus dem Arsenal kommen lassen. Weil ihm die aber nicht reichen, hat er noch einmal so viele
     in Flandern bestellt, die er aber noch nicht bezahlt hat. Und er hebt Truppen aus und schmeichelt sich, Ende Mai dreißigtausend
     Mann unter Waffen zu haben, davon zwei Drittel Ausländer.«
    »Das ist viel.«
    »Es ist wenig, wenn der Befehlshaber ein Lump ist. Und es ist wenig, verglichen mit den drei Armeen, die der König gegen ihn
     zusammenziehen kann, wenn die Großen geschlagen sind.«
    »Wenn der König dann wirklich König wäre.«
    »Seid ganz sicher, Herr Chevalier, das hat er vor«, sagte Déagéant.
    Mehr gab er an jenem Abend nicht preis, und ich machte mich an den Bericht, den ich anderntags den
Essais
von Montaigne anvertraute, von Herzen froh, daß Déagéant diesen Geheimweg für uns erfunden hatte. Die Überwachung um Ludwig
     war derart spürbar und bedrückend geworden, daß es gewissermaßen ein Kapitalverbrechen war, wenn einer seiner Offiziere vertraulich
     zu ihm sprach oder sich ihm gegenüber auch nur öffentlich zu einem ernsthaften Thema äußerte. Bestens erinnere ich mich, wie
     ich, nachdem ich einmal ausführlich auf eine Frage geantwortet hatte, die mir Ludwig über die Belagerung von Paris durch Henri
     Quatre stellte, plötzlich mit Verbannung bedroht wurde und es nur dem tatkräftigen Einschreiten der Herzogin von Guise bei
     der Königin verdankte, daß ich davor bewahrt blieb, allerdings mit der ausdrücklichen Empfehlung, zu Ludwig so wenig zu sprechen
     wie möglich. Die Aufregung war so groß und meine Patin, als sie mir dies übermittelte, so ernst, daß ich nur mit Mühe verschweigen
     konnte, welche Abscheu ich über diese schimpfliche |427| Order empfand, die meinen kleinen König zu einem Aussätzigen innerhalb seines eigenen Palastes machte. In der Folge beobachtete
     ich, daß Ludwig die ihn betreffenden schändlichen Befehle durchaus kannte, denn mehrmals sah ich ihn vor Offizieren seines
     Hauses zurückweichen, die ein wenig länger zu ihm sprachen, als wolle er sie vor dem Los bewahren, mit dem man mir gedroht
     hatte.
    Nach dieser Warnung wurde ich noch vorsichtiger, und als ich Monsieur de Luynes auf der großen Treppe im Louvre begegnete,
     machte ich mit ihm ein anderes Signal für den König aus als das offene Knopfloch: was ich bislang versäumt hatte. Auch hatte
     ich acht, den Schlüssel zum Bücherkabinett nie zu erbitten, wenn Blainvilles lange Nase im Umkreis schnüffelte. Die Vorstellung,
     aus Paris verbannt zu werden, hatte mich in Verzweiflung gestürzt, nicht allein, weil ich hier all meine Lieben hatte, sondern
     auch, weil ich meinem König nicht mehr auf seinem nunmehr mit tödlichen Hinterhalten besäten Weg hätte beistehen können.
    Jedesmal wiederholte ich mir lange jene Darstellungen – ich könnte sie auch Lektionen nennen –, die Déagéant mir von der politischen
     Lage gab, so scharfsinnig fand ich sie. Mein Leser mag sich über sein
primo
,
secundo
,
tertio
amüsieren, das ihn vielleicht pedantisch anmutet. Das scheint aber nur so. Déagéant hielt an diesen Aufzählungen aus Sorge
     um Klarheit fest. Im Gegensatz zu Leuten jedoch, die kleinlich und methodisch nur aus geistiger Schwerfälligkeit sind, fand
     ich seine Ausführungen so lebendig und klug, daß ich ihn bei jedem seiner Besuche dafür nur bewundern konnte. Und wenn ich
     es mir überlegte, war ich sehr glücklich, daß ein solcher Mann im stillen über Ludwig

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