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Königskind

Königskind

Titel: Königskind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R Merle
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die aber sowieso nichts versteht und die Dinge nur mit den Augen der Concini sieht.«
    »Meint Ihr, daß Concini wirklich wahnsinnig ist?«
    »Gewiß, in dem Sinne, daß er sich nicht mehr beherrschen kann, aber nur in diesem Sinn. Ich sehe in ihm zwei Triebfedern:
     den Hochmut des Emporkömmlings und die Feigheit. Beide treiben ihn, alle Grenzen und jedes Maß zu überschreiten, die ihm die
     Vernunft setzen müßte.«
    »Wieso?«
    »Concini ist aus so niederem Stand gekommen, daß seine Niedrigkeit selbst ihn spornt, unbegrenzte Macht zu erreichen. |420| Und seine Feigheit kann seine Begier nach absoluter Macht nur noch verstärken: je mehr er gehaßt wird, desto mehr will er
     gefürchtet sein. Seht doch, wie er sich hier im Louvre aufführt, als wäre der schon sein: er stampft, trumpft auf, er donnert,
     macht sich aus allem und jedem einen Dreck … Und dabei, wenn er so den Wüterich und den Tyrannen spielt, seht Euch seine Augen
     an: sie sind weit aufgerissen und voller Angst. Sein Zorn ist nur Maske. Er ist entsetzt vor seiner eigenen Erhöhung, kann
     aber nicht mehr zurück. Er geht bis ans Ende, egal, ob er stürzt oder Ludwig.«
    Diese Beschreibung der ›zwei Triebfedern‹ Concinis sollte mir noch lange im Gedächtnis bleiben, nachdem ich Déagéants Nachrichten
     schriftlich festgehalten und dem dreizehnten Kapitel der
Essais
von Montaigne anvertraut hatte. Sie erhellte mir die unfaßliche Reihe von Frechheiten, die Concini sich im Verlauf dieses
     März gegen den König herausnahm, die aber seiner Absicht alle ebenso unnütz, sogar schädlich waren wie tief verletzend für
     seinen Souverän.
    Anfang März, den Tag weiß ich nicht mehr, wollte der König sich nach Saint-Germain-en-Laye begeben, und weil er mir die Ehre
     erwiesen hatte, mich dazu einzuladen, war ich zugegen, als etwas geschah, das mich starr machte. Im Begriff, den Stiefel gedankenverloren
     auf den Tritt der Karosse zu setzen, hob Ludwig plötzlich den Kopf, warf einen Blick auf die Eskorte, wurde blaß und zog den
     Fuß zurück, als hätte ihn eine Schlange gebissen.
    »Was soll das?« schrie er mit erregter Stimme. »Wer befehligt diese Kompanie?«
    »Sire, ich«, sagte der Hauptmann, indem er vortrat und sich tief verbeugte.
    »Monsieur, wer seid Ihr? Ich kenne Euch nicht«, sagte der König streng.
    »Sire, ich bin Monsieur d’Hocquincourt, Euch zu dienen.«
    »Ist dies Eure Kompanie?«
    »Nein, Sire, sie gehört dem Marschall von Ancre.«
    »Dem Marschall von Ancre?« rief Ludwig. »Und der Marschall von Ancre hat Euch befohlen, mich zu eskortieren?«
    »Ja, Sire«, sagte Monsieur d’Hocquincourt. »Euch zu dienen, Sire.«
    »Ihr dient mir schlecht, Monsieur, wenn Ihr anderen Befehlen |421| gehorcht als meinen!« sagte Ludwig mit äußerster Schärfe. »Zieht Euch zurück, Monsieur, Ihr und Eure Männer!«
    »Es ist nur, Sire«, sagte d’Hocquincourt, der offenbar Concini mehr fürchtete als den König, »daß der Marschall von Ancre
     mir befohlen hat …«
    »Monsieur!« schrie der König wütend und mit funkelnden Augen. »Der König von Frankreich wird ausschließlich von seinen Leuten
     eskortiert! Ich befehle Euch, abzutreten! Und wenn Ihr nicht augenblicklich gehorcht, rufe ich Monsieur de Vitry und lasse
     Euch in Stücke hauen! Ich sage deutlich: in Stücke hauen, Euch und Eure Kompanie!«
    Monsieur d’Hocquincourt, der ebenso rot geworden war wie Ludwig bleich, machte eine tiefe Verbeugung, dann eine zweite, eine
     dritte, dann gab er seiner Kompanie mit sehr unsicherer Stimme den Befehl, abzumarschieren.
    Auf der ganzen Reise nach Saint-Germain-en-Laye, auf der uns eine Kompanie der französischen Garde begleitete, verharrte Ludwig
     stumm, den Hut tief in der Stirn. Und weil niemand einen Ton zu sagen wagte, verlief die Fahrt in tödlichem Schweigen. In
     Saint-Germain ergab er sich seinen üblichen Beschäftigungen, vornehmlich der Hasenjagd im Gehege von Pec, einem Gelände entlang
     der Seine, das er sehr liebte, weil er vom Pferderücken durch die Bäume hindurch die hohen Segel der Frachtkähne auf den unsichtbaren
     Wellen ziehen sah. Doch obwohl Ludwig mit der gewohnten Leidenschaft jagte, war er höchst einsilbig während dieser fünf Tage,
     die er auf dem Schloß seiner Kindheit verbrachte.
    Zurück in Paris, hatte ich nichts Eiligeres zu tun, als in die Rue des Bourbons zu eilen, wo Frau von Lichtenberg, obwohl
     sie mir zuerst in die Arme sank, mit mir schmollte, weil ich angeblich Ludwig mehr

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