Königskind
an den Kreuzungen, aber es waren nur fünfzig); daß ein Hauptmann auf Concinis Befehl im Hof des Louvre enthauptet worden sei
(was stimmte), weil er dem König etwas mitgeteilt habe (tatsächlich hatte er die Prinzen unterrichtet); daß der König sich
bei der Königinmutter beklagt hätte über die Missetaten des Günstlings, worauf seine Mutter vor Wut, daß er ihren Liebhaber
(was Concini nicht war) schlechtmachen wollte, den König geohrfeigt habe (was sie nicht mehr tat, seit er großjährig war)
und geschimpft habe: »Wasch geht dich dasch an?« (Aber die Königinmutter, wie La Surie anmerkte, als Mariette wieder draußen
war, duzte den König nicht und sprach auch keinen auvergnatischen Dialekt.) Das Gespräch jedoch hatte wahrhaftig stattgefunden,
vor einer knappen Woche, und es nahm schon Wunder, daß Mariette so schnell davon |432| gehört hatte, wenn auch in entstellter Form und nach wer weiß wie langem Umweg von Mund zu Mund.
»Der Haß der Pariser auf Concini ist gigantisch geworden«, sagte mein Vater, als wir nach dem Essen in der Bibliothek beisammensaßen,
»und die Königinmutter ist kaum besser angesehen. Wir gehen großen Unruhen entgegen, wenn der Würgegriff um uns nicht bald
gelöst wird.«
»Eines verwundert mich an diesem Drunter und Drüber«, sagte La Surie. »Die Concini verabscheut ihren Mann, weil er sie brutal
behandelt, sie schlägt, zu Boden schleudert, an den Haaren schleift, mit dem Dolch bedroht. Und die Königinmutter kann ihn
auch nicht ausstehen. Warum schaffen sie sich diesen Schurken nicht gemeinsam vom Halse?«
»Weil sie nicht können«, sagte ich. »Die Concini lebt einsam in ihren vier Wänden, ihre einzige Passion auf der Welt ist das
Gold, und damit ihre Geschäfte blühen, braucht sie einen starken Arm. Der Arm ist Concini.«
»Und die Königinmutter?«
»Sie ist so konfus, so begriffsstutzig und hin und her gerissen, daß sie am Ende doch immer will, was die Concini will. Nie
wird sie die Kraft aufbringen, sie und ihren Mann nach Florenz zurückzujagen.«
»Also ist die Lage aussichtslos?« fragte mein Vater.
Hierauf wußte ich keine Antwort, ich konnte nur die Achseln zucken. Denn, offen gestanden, begann ich zu verzweifeln, weil
Déagéant mir gesagt hatte, der König fürchte derzeit am meisten, man werde ihn des Thrones entheben und seinen jüngeren Bruder
Gaston an seine Stelle setzen, ein lenkbares, fügsames Kind, das seiner Mutter die Möglichkeit einer zweiten Regentschaft
böte und Concini die Festigung seiner unumschränkten Macht.
Doch am selben Tage, als das ›aussichtslos‹ meines Vaters in meinem Herzen nachhallte wie Totengeläut, leuchtete eine unerwartete
Hoffnung auf, als Déagéant mich am Nachmittag in meiner Wohnung aufsuchte. Dieser Besuch nämlich verlief sehr anders als die
früheren. Wie jedesmal eröffnete ich unser Gespräch mit dem Satz: »Sprecht, Monsieur Déagéant! Mein Gedächtnis steht Euch
offen!«
Déagéant aber sagte: »Das schließt getrost, Herr Chevalier! Das Kapitel XIII von Montaignes
Essais
haben wir nicht mehr |433| nötig … Wir beschreiten eine neue Etappe, sofern Ihr dazu bereit seid. Denn die Sache wird nicht ungefährlich, und ich bitte
Euch, Herr Chevalier, erinnert Euch, daß sie im Fall eines Scheiterns …«
»Für mich den Richtblock bedeutet und für Euch den Strick! Das hatten wir schon. Sprecht, Monsieur Déagéant, sprecht! Ihr
macht mich ungeduldig.«
Déagéant lächelte, und ich dachte dabei, er sollte öfter lächeln, denn sein verschlossenes Gesicht zeigte mir ein freundschaftliches,
beinahe liebevolles Leuchten.
»Herr Chevalier«, sagte er, »darf ich fragen, wie alt Ihr seid?«
»Fünfundzwanzig.«
»Seid Ihr nicht etwas zu jung, um möglicherweise allen, die Ihr liebt, Lebewohl zu sagen?«
»Monsieur, hierzu zitiere ich Euch meinen Großvater, den Baron de Mespech. Wenn ihn jemand fragt, ob er mit seinen nunmehr
hundert Jahren nicht gelassen daran denke, diese Welt zu verlassen, antwortet er rundheraus: ݆berhaupt nicht! Ob jung, ob
alt, wenn der Tod an deine Tür klopft, klopft er immer zu früh!« Trotzdem möchte ich nicht am Leben bleiben, wenn mein König
in Eisen oder Schlimmeres geriete. Die Entehrung, ihm nicht gut genug gedient zu haben, würde mich erdrücken.«
»So empfinde auch ich!« sagte Déagéant ernst.
»Gut denn«, sagte ich ganz erregt, »was machen wir? Welchen Weg nehmen wir? Wann fangen wir an?«
»Auf
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