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Königskind

Königskind

Titel: Königskind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R Merle
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nicht, denn kaum daß er mich sah, fiel er mir um den Hals und drückte mir wer weiß wie viele
     Küsse auf die Wangen.
    »Mein kleiner Cousin!« rief er mit seiner dummen, lieben Stimme. »Wie bin ich glücklich, Euch hier zu haben. Was habt Ihr
     all die Jahrhunderte getrieben, seit ich Euch aus dem Auge verlor? Wart Ihr in Klausur? Ich habe Euch seit der Hochzeit des
     Herzogs von Vendôme nicht mehr gesehen.«
    Damit war der Begrüßungen aber noch kein Ende, denn kaum gaben seine Arme mich frei, fand ich mich auch schon in denen seines
     Bruders, des Prinzen Joinville. Wohingegen der Herzog von Guise – der kleine Herzog ohne Nase, wie er bei Hofe hieß –, meine
     tiefe Verneigung abwartete, bis er mir die Hand reichte. Da er seinen Rang so gern betonte, sogar Joinville und dem Erzbischof,
     seinen jüngeren Brüdern, gegenüber, wie hätte er ihn nicht erst recht vor seinem illegitimen Halbbruder herausstreichen sollen?
     Dennoch haßte er mich nicht, wenn er mich auch nicht ›kleiner Cousin‹ nannte wie seine Brüder, immerhin aber ›einen sehr amüsanten
     Tischgesellen‹, seit ich einmal seinem endlosen Geplapper bei einem Souper aufmerksam gelauscht hatte, während seine Mutter
     vor Gähnen verging.
    Dem jungen Herzog mangelte es nicht an Geist, er hatte, kurz gesagt, sogar alle Eigenschaften, um am Hofe zu glänzen, nur
     jene nicht, die zu großen Dingen erforderlich sind. Meine schöne Leserin wird sich vielleicht erinnern, daß er in seinem Hause
     mit einer Löwin zu frühstücken pflegte. Die Narretei trug ihm einen gewissen Ruf ein in Paris, wo man ja auf alles Verrückte
     lüstern ist, bis die Löwin eines Tages mit einem Prankenhieb einem Lakaien das Gesicht zerfleischte. Der Herzog zog nicht
     etwa den Degen. Tapfer rief er seine Soldaten. Da die Löwin in ihrer Bedrängnis aber nach allen Seiten sprang, kostete es
     wer weiß wie viele Büchsenschüsse – das heißt, auch Löcher in den flandrischen Tapisserien und Blutflecken auf den Orienttepichen
     –, bis das Tier erlegt war.
    |55| Das ungeduldige Schweigen, das der Herzog nach meinem liebenswürdigen Empfang bezeigte, lehrte mich, daß er bei meinem Eintritt
     das Wort geführt hatte und eiligst fortzufahren wünschte. Also trat ich ein wenig beiseite, neigte unterwürfig den Kopf und
     spielte, mit Blick auf den Herzog, die Rolle des begierigen Zuhörers, die einzige, die er an mir schätzte.
    »Wißt Ihr«, sagte er blitzenden Auges, »daß dieser niedere Lump von Concini es sich am Tag vor unserer Reise nach Reims, als
     wir nebeneinander im Gemach der Königin standen, doch einfallen ließ, mich heftig zu umschmeicheln?
›Mon
seignor

, sagte er mit vertraulicher Miene, ›liebt mich, und ich werde Euch eine
favore
1 erweisen.‹ – ›Marquis‹, erwiderte ich, ›ich wäre entzückt, würdet Ihr mir eine
favore
erweisen. Nur glaube ich es erst, wenn Ihr es mir schwarz auf weiß gebt.‹ – ›Nichts leichter als das‹, sagt er lächelnd. ›Mein
     Marquisat von Ancre hat rechtzeitig Verstärkung erhalten, denn in Italien bin ich ein Nachkomme der Grafen de la Penna.‹ –
     ›Und?‹ frage ich. – ›La
penna
‹, sagt er, ›heißt auf französisch die Feder.‹ Und er lacht. ›Marquis‹, sage ich, ›als Graf von der Feder und Marquis von
     der Tinte 2 fehlt Euch nur noch der Herzog von Papier.‹«
    Das Wortspiel war hübsch, und ebensowenig wie Joinville und der Erzbischof mußte ich mich zwingen, zu lachen. Nur leider verdarb
     der Herzog seinen Erfolg ein wenig, als er hinzufügte: »Wundervoll, nicht wahr? Und dieser Witz kam mir ganz von selbst, aus
     dem Stegreif, ohne groß nachzudenken …«
    »Aber«, sagte ich, »stammt denn Concini wirklich von den Grafen de la Penna ab?«
    »Wie ich hörte«, sagte Joinville, »ist er der Sohn eines Sekretärs vom Großherzog der Toskana.«
    »Nein, nein«, sagte der Erzbischof, »er ist der Sohn eines Tischlers.«
    »Du verwechselst auch alles, Erzbischof«, sagte der Herzog. »Kein Wunder, daß du erst Diakon bist. Seine Frau, Leonora Galigai,
     ist die Tochter eines Tischlers.«
    Joinville prustete, und der Erzbischof rief: »Herr Bruder, Ihr seid wenig barmherzig!«
    |56| »Wer ist wenig barmherzig?« fragte der Graf Bassompierre, der den Raum betrat. »Und wer von Euch, meine Herren, wettet mit
     mir, daß ich errate, wem dieser Vorwurf gilt? Einsatz: fünfzig Ecus.«
    »Zum Wetten ist es zu früh am Morgen«, sagte der Herzog schmollend, weil Bassompierre

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