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Königskind

Königskind

Titel: Königskind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R Merle
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um einen hohen Mast scharten, an dessen Spitze ein Gardesoldat angebunden war mit hinterm Rücken gefesselten
     Händen. ›Was ist das?‹ sagte Ludwig und ließ die Karosse halten. ›Sire‹, sagte Hauptmann Vitry, der sich bei uns befand, ›das
     ist eine Bestrafung, die man Estrapade, Wippgalgen, nennt. Der Strick, der den Sträfling hält, gleitet auf dem Mast über eine
     Rolle und wird am Boden von mehreren Soldaten gehalten, die ihn auf Befehl des Sergeanten plötzlich loslassen. Der gefesselte
     Sträfling stürzt von der Höhe des Mastes in die Tiefe und kommt erst, wenn der Strick wieder gespannt wird, zwei Fuß über
     dem Boden zum Halten. Der Sturz ist in allen Gliedern äußerst hart zu spüren, noch schlimmer ist die Angst, am Boden zu zerschmettern.
     Dieser Sturz wird so oft wiederholt, wie es die Strafe vorschreibt.‹ – ›Monsieur‹, fragte Ludwig, ›kommt es vor, daß der Sträfling
     dabei stirbt?‹ – ›Es ist vorgekommen, daß Ungeschick oder Bosheit der Soldaten, die den Strick führten, den Sturz nicht rechtzeitig
     aufgehalten hat.‹ – ›Monsieur de Vitry‹, sagte Ludwig nach einem Schweigen, ›beliebt, den Sergeanten zu rufen.‹ Und als der
     Sergeant atemlos gerannt kam und den König am Kutschenschlag grüßte, sagte dieser: ›Sergeant, wie viele Stürze hat der bestrafte
     Soldat zu erleiden?‹ – ›Sire, er hat zwei erlitten. Drei bleiben ihm noch.‹ – ›Das reicht‹, sagte Ludwig. ›Ich begnadige ihn
     für die übrigen.‹ Und da er weiß, daß ein Befehl nichts ist, wenn man die Ausführung nicht überwacht, verlangte er, daß die
     Karosse solange halte, bis man den Sträfling herabgeholt und losgebunden hatte.«
    Mühelos stellte ich mir, während Héroard uns dies erzählte, Vitrys dicken roten Holzkopf in der Karosse neben Ludwigs langem,
     empfindsamen Gesicht vor, wie es erleuchtet war von seinen großen schwarzen, so sprechenden Augen, wenigstens, wenn er sie
     sprechen ließ, denn seine strenge Erziehung und das geringe Vertrauen, das er in die Liebe seiner Mutter setzen |51| konnte, hatten ihn seit langem gelehrt, sich in sich selbst zu verschließen.
    »Aber woher kommt diese Strafe?« fragte La Surie. »Das Wort Estrapade scheint mir nicht französisch.«
    »So ist es«, sagte Héroard. »Diese Strafe stammt aus Italien. Anfangs war sie rein militärisch, aber die Inquisition benutzte
     und verschärfte sie gegen die Ketzer. Man tauchte den Unglücklichen ins Feuer des Scheiterhaufens und zog ihn sogleich wieder
     hoch. Dies aber immer aufs neue, bis der Strick, der ihn am Mast hielt, Feuer fing und riß. Manche nannten das eine Verfeinerung.«
    »Und diese Papisten wagen es, sich Christen zu nennen!« sagte mein Vater mit verhaltenem Zorn.
    Héroard blieb stumm, tauschte jedoch einen Blick mit meinem Vater, aus dem der ganze heimliche Groll der bekehrten Hugenotten
     gegen die unerbittlichen Henker ihrer einstigen Religion sprach.
    »Mein lieber Freund«, versetzte mein Vater, »wollt Ihr erlauben, Euch eine indiskrete Frage zu stellen?«
    »Ich werde achthaben«, sagte Héroard, »daß meine Antwort diskret für zwei ist.«
    »Ihr entsinnt Euch wahrscheinlich«, fuhr mein Vater fort, »daß Ludwig einmal, als ein spanischer Edelmann aus dem Gefolge
     des Herzogs von Feria ihm seine Aufwartung machte, sich eine Karte von Jülich bringen ließ und dem Herrn einen kleinen Vortrag
     über die Eroberung Jülichs durch die Franzosen und ihre Verbündeten hielt. War dies nach Eurer Ansicht von Ludwigs Seite her
     Einfalt oder politischer Schalk?«
    Héroard hütete sich natürlich, eine Antwort zu geben, die ihn, wäre sie weitergesagt worden, bloßgestellt hätte. Er begnügte
     sich damit, einen Vorfall zu berichten, den nur er kannte und der den ersteren beleuchtete, ohne daß er noch einer Anmerkung
     oder Erklärung bedurfte.
    »Ende September«, sagte Héroard, »jedenfalls kurz nach seinem neunten Geburtstag fand Ludwig auf seinem Studiertisch ein Buch
     von Horaz, das in Antwerpen gedruckt war. Sogleich schlug er es auf und las, welchem Privileg der Buchhändler die Druckgenehmigung
     für das besagte Buch verdankte. Es lautete:
Mit der Erlaubnis des Papstes, des Königs von Spanien und des Königs von Frankreich.
Louis nahm seine Feder, tauchte sie ins |52| Tintenfaß und strich
› des Königs von Spanien
‹ aus. Er strich es nicht nur halb aus, sondern bedeckte es so mit Tinte, daß es völlig unleserlich wurde. Hierauf legte er
     die

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