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Königskind

Königskind

Titel: Königskind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R Merle
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     hegte, die er, wie mein Vater, für schmutzig, unwissend und abergläubisch hielt.
    Doch nur der Apotheker – die zweite Säule dieses Äskulaptempels – speiste mit uns am Tisch, wie es seinem Wissen und seinem
     Ältestenrecht entsprach. Die anderen neun Kinder nahmen ihr Mahl an einem runden Tisch ein, der unweit des unseren stand,
     damit der Vater von Zeit zu Zeit ein gestrenges Auge auf sie werfen und die Mutter ihnen ein zärtliches Lächeln zuwenden konnte.
     Machten es dieser Blick und dieses Lächeln im Verein, daß sie von Anfang bis Ende auffallend still aßen? Zu Anfang, als ich
     Madame Carajac für stumm hielt, hatte ich gedacht, deshalb hätten auch die Kinder ihre Muttersprache gar nicht gelernt.
    Am Tisch der Großen, wie La Surie scherzeshalber sagte, glänzten die Mahlzeiten, wiewohl die Speisen gut und der Wein reichlich
     waren, auch nicht eben durch Lebendigkeit: mein Vater und La Surie mühten sich weidlich, heiter zu plaudern, ohne daß ihr
     Gastgeber auch nur das mindeste dazu beitrug. Und obwohl Carajac seine Ohren nicht dermaßen zu schonen schien wie seine Zunge,
     mußte der Sprecher sich doch immer fragen, ob der Hörer Interesse an seinen Reden fand, da er zur Antwort nichts wie hier
     und da ein Brummen hören ließ.
    Auf diese tiefe Stille folgte bald gewaltiges Getöse. Am vierzehnten Oktober rollte der ganze Hof mit ratternden Rädern über
     das Pflaster von Reims, die Pferde wieherten, die Kutscher fluchten, die Haushofmeister schrien Anweisungen, denen keiner
     gehorchte.
    Der gute Doktor Héroard, der im bischöflichen Palais bei der königlichen Familie und den Guises keinen Schlafplatz fand, bat
     Carajac um Gedeck und Lager. Zwar hatten sie nicht |49| gleichzeitig studiert, aber auch Héroard hatte die berühmte École de Médecine zu Montpellier absolviert: das genügte.
    Héroards Ankunft war uns dreien eine besondere Freude, nicht weil er etwa bei Tisch den Gegenstand angesprochen hätte, der
     uns am Herzen lag – dazu war er viel zu vorsichtig – , aber am selben Abend, als wir mit dem Licht in der Hand zu unseren
     Zimmern hinaufstiegen, raunte er meinem Vater zu, er möge ihn in einer halben Stunde mit La Surie und mir in dem seinen aufsuchen.
    Da er vor neun Jahren von Henri Quatre zum Leibarzt des Dauphins bestimmt worden war, ohne daß die Königin dies guthieß, und
     das aus dem einzigen Grund, daß er ein bekehrter Hugenotte war (ein Heringsfaß stinkt immer nach Hering), hatte Héroard nach
     dem Tod des Königs das Schlimmste befürchtet, aber nicht mehr so sehr auf Grund seiner einstigen Religion, sondern weil die
     Regentin ihn verdächtigen könnte, er hänge zu sehr an dem kleinen König und der kleine König an ihm.
    Nichts verfeinert die Beobachtungsgabe mehr als Verfolgung. Da sie die Gefahr ahnten, pflegten beide, der Arzt wie sein kleiner
     Patient, in stillschweigender Übereinkunft eine scheinbare Kühle in ihren Beziehungen. Die Spione der Königin fielen darauf
     herein. Monsieur de Souvré, Ludwigs Erzieher, war schwerfällig an Körper und Geist. Dafür war Pater Cotton, der Jesuit, der
     Ludwig eine volle Stunde zur Beichte behielt, desto wendiger und schlauer. Gleichwohl befanden beide, Héroard, ein guter Arzt
     und nunmehr guter Katholik, sei unschädlich, weil meinungslos. Kurz, er beschränke sich ganz darauf, dem König den Puls zu
     fühlen, seinen Urin zu beschauen und seinen Kot zu untersuchen. Es gebe keinen Grund, seinen Einfluß zu fürchten. Und tatsächlich
     traf der Blitz nicht ihn, sondern den Hofmeister Yveteaux, der die Torheit beging, sich über Concinis Aufstieg zu verbreiten.
     Die Königin erfuhr es im Nu, eine Stunde später mußte Yveteaux sein Bündel schnüren.
    Héroard war durchaus nicht ohne eigene Meinung, weit gefehlt, doch hüllte er sich in äußerste Wachsamkeit. Wenn er uns in
     jener Nacht ein paar Kleinigkeiten über Ludwig anvertraute, so nur, weil er wußte, daß wir dem kleinen König ganz ergeben
     waren. Und selbst vor uns sprach er bei weitem nicht freimütig. Seine Vorsicht war derart, daß er stets nur Tatsachen – die
     reinen |50| Tatsachen – berichtete, ohne darüber das kleinste Urteil zu fällen.
    »Letzthin im August«, sagte er, »als wir von Gentilly zurückkehrten, Ludwig und ich, kam unsere Karosse auch durch den Faubourg
     Saint-Jacques, wo, wie Ihr wißt, eine Abteilung des Garderegiments stationiert ist. Und Ludwig sah auf den Wällen einen Trupp
     Soldaten, die sich

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