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Königskind

Königskind

Titel: Königskind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R Merle
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Bassompierres
     Serail der ›Nichten‹. Gehört Louison auch zu der Sorte?«
    |152| »Nein.«
    »Sind Sie es immer noch gewohnt, nach dem Mittagsmahl Siesta zu halten?«
    »Ja, Madame.«
    Ein langes Schweigen trat ein, so als hätte die Gräfin Mühe, die Frage auszusprechen, die ihr seit Beginn dieser Unterhaltung
     auf den Lippen brannte.
    »Monsieur«, sagte sie endlich in eisigem Ton, »macht Louison Ihr Bett, oder steigt sie mit Ihnen ins Bett?«
    »Sie steigt mit mir ins Bett.«
    »Mein Freund«, sagte Frau von Lichtenberg nach einem neuerlichen Schweigen, »Sie haben mir gegenüber vor meiner Abreise nach
     Heidelberg so verbindliche Empfindungen bekundet und Sie mir auch in Ihren Briefen so viele Male zu verstehen gegeben – und
     die bewundernswerte Regelmäßigkeit Ihrer Post versicherte mich Ihrer Aufrichtigkeit –, daß ich, wenn Sie erlauben würden,
     Ihnen gerne einen Rat geben möchte, einen einzigen, aber einen sehr dringlichen.«
    »Madame, ich bin begierig, ihn zu hören.«
    »Ich denke, Monsieur, es wäre in Anbetracht unserer Beziehungen und dessen, was daraus werden könnte, wünschenswert, daß Sie
     diese Kammerfrau in das Haus Ihres Vaters zurückschickten und dafür einen Diener einstellten.«
    »Es wird morgen geschehen.«
    »Gleich morgen?«
    »Gleich morgen, Madame.«
    Frau von Lichtenberg sank mit Rücken und Kopf an die Lehne ihres Armstuhls zurück, stieß einen Seufzer aus und wirkte so erschöpft,
     daß ich eine Ohnmacht befürchtete. Wie La Surie es auf Mittag mit mir gemacht hatte, ergriff ich den für mich eingeschenkten
     Weinkelch und reichte ihn ihr. Sie trank ihn in einem Zuge leer, und in ihre Wangen kehrte ein wenig Farbe zurück.
    »Mein Freund«, sagte sie schließlich, »ich werde nie genug Worte haben, Ihnen für Ihre Geduld, Ihre Höflichkeit, Ihre Offenheit
     zu danken. Dieses Gespräch von Herz zu Herzen hat plötzlich alle Zweifel behoben, die ich während meiner langen Abwesenheit
     nährte. Und es erscheint mir sogar gegen mich selbst beinahe grausam, dieses Zwiegespräch gerade jetzt zu unterbrechen, da
     es mir soviel gebracht hat. Aber, Monsieur, |153| vergeben Sie mir, ich bin sehr, sehr müde und fühle mich noch nicht allzu erholt von meiner langen Reise.«
    Sie stand auf, während sie dies sagte, und da sie wankte, wagte ich es, sie in meine Arme zu nehmen. Sie überließ sich mir
     und bot mir, ihren reizenden Kopf hebend, die Lippen zum Kuß. Und obwohl ihr Reifrock mich hinderte, sie so an mich zu ziehen,
     wie ich gewollt hätte, wurde nie ein Kuß glühender gegeben noch erwidert.
    Gleichwohl fühlte ich, daß es bei der starken Bewegung, die in ihr arbeitete und die aus ihren großen, tränenglänzenden Augen
     sprach, sehr töricht von mir gewesen wäre, hätte ich die Dinge überstürzt, daß es vielmehr hieß, behutsam vorzugehen, um ihre
     Gefühle nicht zu überrumpeln. Und wirklich faßte sie sich, löste sich ein wenig von mir, während sie aber meine Hände hielt,
     als erwarte sie, daß ich fest entschlossen an ihrer Seite Anker werfen werde, auf daß wir von nun an wie zwei Schiffe Bord
     an Bord segelten.
    »Lieben Sie mich auf immer«, sagte sie in einem Ton, der gebieterisch und flehentlich in einem war.
    Sie ließ meine Hände los, dafür aber hakte sie sich in meinen Arm ein und nahm Besitz von meinem Handgelenk, das sie wie ein
     Steuermann das Ruder einem leisen, anhaltenden Druck unterzog und dadurch mich leitete. Den Weg, den sie mich führte, kannte
     ich gut, ich war ihn vor unserer Trennung an die hundertmal gegangen. Sie lenkte unsere Schritte dem großen Empfangssalon
     zu, wo sie mich wie früher der Dienstfertigkeit ihres
maggiordomo
überließ.
    »Müssen wir uns schon trennen?« fragte ich seufzend.
    »Bis morgen um drei«, sagte sie leise. »Außerdem verlasse ich Sie nicht. Ich brauche eine Nacht und einen Tag, um allein zu
     sein mit meinem Fieber, meinen Gedanken. Bitte, lassen Sie sie mir.«

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    |154| SECHSTES KAPITEL
    Bevor ich an diesem Abend, der meinem Wiedersehen mit der Gräfin folgte, im väterlichen Haus zu Abend aß, beschloß ich, auch
     dort zu übernachten, weil die Pariser Straßen und Gassen sehr unsicher waren. Da trieben finstere Ganoven ihr Unwesen, unter
     dem seligen König hatten sie sogar, dem Wächter vor der Nase weg, eine Karosse geraubt, die vor dem Hôtel des Finanziers Zamet
     gewartet hatte, bis unser Henri eine Kartenpartie beendete, bei der er sicherlich gewann, aber nicht

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