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Königskind

Königskind

Titel: Königskind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R Merle
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seine Kugeln wären Soldaten? Behandelte man ihn nicht gerade dann
     als Kind, wenn man ihm vorwarf, eines zu sein?
    Was also war triftiger, als zu antworten, wie Ludwig es tat: »Kinderei? Ihr seid es doch, der mich wie ein Kind behandelt!«
    Ich hatte Lust, lauthals zu rufen: »Gut gegeben, Ludwig!«, aber wie der Leser ja weiß, ist der Hof nicht der Ort, wo man auch
     nur den zehnten Teil dessen sagen dürfte, was man denkt.
    Diese Szene spielte sich, wie gesagt, noch unter der Herrschaft des seligen Königs ab, aber ein Jahr später, unter der Regentschaft,
     wurde Ludwigs ›Kinderei‹ zum Evangelium, zum Dogma und zum Credo der Königin, der Concinis, der Minister, des Hofes und Monsieur
     de Souvrés, obwohl es bei ihm eher Routine als Böswilligkeit war. Folglich ärgerte Ludwig nichts so sehr wie diese Leier,
     deren Quelle und Absichten |159| er wohl erkannte. Er machte seinem Erzieher deshalb heftige Vorwürfe.
    »Ihr liebt mich heute nicht, Monsieur!« sagte er. »Ihr habt gesagt, daß ich ein Kind bin!«
    Aber Souvré hatte ein zu dickes Fell, als daß ihn der Vorwurf treffen konnte. Und er sang das ewige Lied wieder und wieder,
     bis Ludwig im August 1612, wie ich noch weiß, aus seinen Truhen eine ganze Reihe Spielzeug hervorholte und durch einen Kammerdiener
     an
Monsieur
1 schicken ließ. Ein paar Sachen behielt er aber trotzdem noch, so daß Monsieur de Souvré einige Tage darauf Gelegenheit fand, ihm wiederum, wenn auch
     milder, vorzuwerfen: »Sire, wollt Ihr diese Kinderspiele nicht lassen? Ihr seid schon so groß.«
    Worauf Ludwig mit einiger Reue, nicht, weil er gespielt, sondern weil er sein stilles Versprechen gebrochen hatte, antwortete:
» Moussu
de Souvré, ich will es ja. Aber ich muß etwas tun! Sagt mir, was, und ich tue es.«
    Wie typisch für Ludwig mir diese Bitte erschien! Wenn er morgens spät erwachte, weinte er, weil er fürchtete, man hielte ihn
     für faul. Aber faul war er gewiß nicht, sondern sogar sehr rege, er wollte immer beschäftigt sein, aber nicht durch endlose
     Messen und Andachten, ellenlange Predigten, stundenlange Beichten, ewige Ermahnungen oder Latein, das ›er reichlich satt habe‹,
     wie er sagte.
    Von den drei Hofmeistern, die er nacheinander hatte, konnte nur Fleurance ihn fesseln, weil er ihn Mathematik lehrte und über
     sie die Grundbegriffe der Artillerie, die ihn auf das vorbereiteten, was er am sehnlichsten zu werden wünschte: ein Soldatenkönig
     wie sein Vater.
    Im stillen habe ich immer gedacht, wenn man ihn wirklich für sein künftiges Amt hätte bilden und ihn auf eine Weise, die seinem
     Alter entsprach, über die Angelegenheiten des Staates unterrichten wollen, mit all den notwendigen Kenntnissen über Frankreichs
     Geschichte und Geographie wie auch über die benachbarten Reiche, hätte man ihn mühelos zu einem guten Schüler gemacht, denn
     mit allem, was ihn wirklich interessierte, befaßte er sich sehr gründlich. Aber davon war man weit |160| entfernt. Unter dem Vorwand, er sei nur ein Kind und ein ›äußerst kindisches Kind‹, hielt man ihn unwissend in allem, auch
     in dem, was seine Zukunft am nächsten berührte.
    Den Beweis dafür erhielt ich am Nachmittag jenes Tages, an dem ich zu Tode betrübt erfuhr, daß meine Gräfin mit Fieber zu
     Bett lag. Doch bevor ich es erzähle, möge der Leser mir erlauben, zu sagen, was sich zwischen Louison und mir abspielte, als
     ich, in meine Wohnung zurückgekehrt, ihr die Entlassung mitteilte, wie ich es am Tag vorher versprochen hatte.
    Blond und hübsch, wie sie war, mit blauen Augen, rosigen Wangen und Stupsnase, rührte sie mich ungewollt, und ich sprach so
     liebevoll zu ihr, daß sie zuerst gar nicht verstand, was ich von ihr wollte. Aber als sie es schließlich begriff, sah sie
     mich eine Weile blaß und sprachlos und mit aufgerissenen Augen an, als hätte ich sie zum Strick verdammt.
    »Monsieur, was habe ich Euch getan«, fragte sie schluchzend, »daß Ihr mich verstoßt? War ich Euch untreu? Habe ich Euch bestohlen?
     Habe ich Euch schlecht gedient?«
    »Aber, meine Louison«, sagte ich, »ganz im Gegenteil! Du warst in allem vollkommen, ich halte und sage von dir nur das Beste.«
    »Wie könnt Ihr mich dann aber auf die Straße setzen, wenn ich nichts Falsches gemacht habe?«
    »Louison«, sagte ich, »du hast mich nicht richtig verstanden. Ich setze dich nicht auf die Straße: ich schicke dich zurück
     in die Rue du Champ Fleuri.«
    »Das ist ja noch schlimmer!« rief sie

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