Königskind
so gewissenhafte Sorgfalt, daß sie dadurch der Worte enthoben
wurde. Es war ein Gefühl, als ob dieser Imbiß mich in der Zeit wundersam zurückversetzte, als ob unsere lange Trennung vergessen
war und wir nur die Gesten, Haltungen und Beschäftigungen von gestern oder vorgestern wiederaufnahmen. Aber während ich meine
Augen auf der guten Samariterin ruhen ließ, wohl wissend, daß sie mich, auch ohne aufzublicken, bei sich fühlte, entging mir
nicht, daß die verflossene Zeit sie verändert hatte.
Nun beobachtete ich Einzelnes, das mir in der übermäßigen Wirrnis des ersten Wiedersehens nicht aufgefallen war. Sie war viel
eleganter gekleidet als früher, statt Köper trug sie jetzt ein Mieder aus Satinseide und einen ebensolchen Reifrock mit |148| kleiner Blumenstickerei. An ihren Fingern blinkte nicht mehr nur ein Ring wie sonst. Sie hatte ihre hohe, die Stirn freilassende
Haartracht nicht verändert, aber ihre glänzenden schwarzen Haare waren mit einem Netz aus feinen Goldfäden überfangen, an
denen hier und dort Perlen schimmerten. Aus Perlen war auch ihr Halsband, was mich noch mehr erstaunte, denn früher hatte
ich immer nur eine feine Goldkette an ihr gesehen, mit einem Herzen und einem zerbrochenen Schlüssel daran, das trauervolle
Zeichen ihrer Witwenschaft. Außerdem war sie parfümiert – wohl nicht wie die Damen des französischen Hofes, die einen, wenn
man in ihre Nähe kam, durch ihre Düfte betäubten –, aber doch so, daß ich es wahrnahm. Und schließlich trug sie goldene Ohrgehänge,
die ich vorher schon rechts und links hatte irrlichtern sehen, ohne aber zu erkennen, woher die tanzenden Lichter kamen. Ich
betrachtete meine Gräfin noch begieriger. Ihr Gesicht war ruhig, ihre Bewegungen gemessen, und ihre Hände blieben fest und
geschickt, als sie meine Waffel bestrich. Allein diese Ohrgehänge verrieten ihre Erregung. Sie zitterten unmerklich, obwohl
kein Lufthauch in dem warmen Kabinett ging, wo wir so nah beisammen saßen.
Ich hatte meinerseits den Grünschnabel hinter mir gelassen, der sich vor zwei Jahren bei der Gräfin niedersetzte, um von ihr
Deutsch zu lernen, und war nun, was ich dank der Gunst Madame de Guises und der unerhörten Freigebigkeit meines Vaters geworden
war: ein Offizier des Königshauses. Nicht daß ich mich damit brüstete, weil ich wohl wußte, daß die Ehre dem Verdienst vorausgeeilt
war und daß es nun an dem Verdienst war, die Ehre einzuholen. Doch gab mir dieses Amt, das mir zugleich eine hochgeachtete
Stellung, eine beträchtliche Pension und eine Wohnung im Louvre einbrachte, auch eine Unabhängigkeit und eine Würde, durch
die ich meinem Status des ewigen Schülers und nachgeborenen Bastards eines großen Hauses auf immer entronnen war. Noch einmal,
ich trug die Nase wegen meiner jüngsten Ernennung nicht höher, aber ich war ihrer bewußt, und dieses neue Gefühl war mir,
denke ich, auch anzumerken. Daß Frau von Lichtenberg bei unserem Wiedersehen einiges davon spürte und ihm auf den Grund gehen
wollte, zeigte sich in den ersten Fragen, mit denen sie unsere Unterhaltung einleitete.
»Mein Freund«, sagte sie, indem sie mir das Tellerchen mit |149| der so sorglich bestrichenen Waffel in die Hände gab, »wie alt sind Sie jetzt?«
»Neunzehn Jahre.«
»Sie sind größer geworden, scheint mir, mindestens zwei Daumen, denn ich kann mich nicht erinnern, daß Sie mich vor zwei Jahren
bereits überragten.«
»Sie irren sich nicht, Madame, ich bin gewachsen.«
»Und Sie wirken auch viel reifer und sicherer. Bassompierre hat mir von ihrem fabelhaften Aufstieg am Hof erzählt.«
»Ich verdanke ihn ganz meinem Vater.«
Madame de Guise erwähnte ich nicht, weil die Gräfin, wie ich mich entsann, ein oder zweimal eine gewisse Eifersucht auf meine
Patin gezeigt hatte.
»Aber Sie werden sich seiner bestimmt würdig erweisen«, sagte sie, »bei Ihren Talenten.«
»Ich hatte gute Lehrer, Madame«, sagte ich mit einem Lächeln.
Auch sie lächelte.
»Und, wie ich hörte, haben Sie eine Wohnung im Louvre: das ist eine hohe Ehre!«
»Machen Sie mir die große Freude, mich dort zu besuchen?«
»Bedaure«, sagte sie. »Ich habe seit meiner Witwenschaft sehr eingezogen gelebt und gedenke, mein Leben in diesem Punkt nicht
zu ändern.«
Das ›in diesem Punkt‹ war ihr herausgerutscht. Mich überlief ein Schauer, was sie bemerkte und woraufhin ihr eine leichte
Röte ins Gesicht stieg, die sich langsam über ihre
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