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Königskind

Königskind

Titel: Königskind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R Merle
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wir! Ich werde Euch zeigen, was ich kann.«
    |163| Mir voraus, stieg Ludwig die Treppe zum Oberstock dicht hinter Descluseaux hinauf. Doch sowie die Tür geöffnet war, schloß
     er sie hinter uns und ließ Descluseaux draußen. Nicht ohne Mühe holte er seine ›dicke Vitry‹ aus dem Waffenständer, legte
     sie auf einen Tisch und begann sie zu reinigen.
    Er benötigte dafür tatsächlich die Hälfte der Zeit, die ich gebraucht hatte. Ich hütete mich allerdings, ihn darauf hinzuweisen,
     daß seine ›dicke Vitry‹ – der er all seine Fürsorge angedeihen ließ, und Descluseaux auch – der Reinigung vielleicht weniger
     bedurfte als die Hakenbüchsen im Champ Fleuri. Ludwig triumphierte also, aber freundlich, er tröstete mich sogar über meine
     Niederlage mit dem Argument, daß ich in dieser Arbeit ja weniger Übung hatte.
    Während er diese großmütige Bemerkung machte, wischte er sich mit einem Lappen das Fett von den Händen, und als er schwieg,
     schien mir, daß er an diese Reinigung mehr Zeit wandte als nötig. Er hielt die Augen gesenkt und machte eine schamvolle, zögerliche
     Miene, als schwanke er, ob er die Unterhaltung fortsetzen solle. So entschloß ich mich, in scherzendem Ton zu sagen, wenn
     Seine Majestät mir eine zweite Wette erlauben wollte, so würde ich wetten, daß er eine Frage an mich habe.
    »Und diesmal hättet Ihr gewonnen, Sioac!« sagte er, indem er das
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meines Namens ausließ wie früher, als er noch kleiner war, und wie er es immer machte, wenn wir allein waren, um mir seine
     Zuneigung zu bekunden.
    Er betrachtete mich aus seinen großen schwarzen Augen, die wohl das Schönste in seinem Antlitz waren, das von seinem Vater
     die Bourbonennase und von seiner Mutter den langen Kiefer hatte, der in ein spitzes Kinn mündete.
    »Sioac«, fragte er, »ist es wahr, daß man mich verheiraten will?«
    »Ja, Sire, es ist wahr.«
    »Aber, ich bin erst zehn Jahre alt«, sagte er mit zitternder Stimme. »Und mit wem?«
    »Mit einer spanischen Infantin, Sire.«
    Schrecken und Abscheu sprachen aus seinen schwarzen Augen. In dem Schweigen, das folgte, fragte ich mich, ob diese heftige
     Bewegung seiner Angst vor Mädchen entsprang, wie er sie mehrmals gezeigt hatte, oder der Vorstellung, eine Infantin |164| zu heiraten, da er ja bei vielen Gelegenheiten eine auffällige Treue zur antispanischen Gesinnung seines Vaters an den Tag
     gelegt hatte. Später sagte ich mir, daß diese Unterscheidung unnötig sei: wahrscheinlich kamen beide Gründe zusammen.
    »Von wem habt Ihr es?« fragte er.
    »Von Madame de Guise.«
    Er nickte wie zur Bestätigung, daß die Quelle zuverlässig sei. »Es gab lange Verhandlungen, Sire«, fuhr ich fort, »weil die
     Königin Eure Mutter die älteste Infantin für Euch forderte und Spanien Euch eine jüngere geben wollte.«
    »Unverschämtheit!« sagte Ludwig zwischen den Zähnen. »Und seit wann wird verhandelt?« fragte er dann.
    »Die Verhandlungen begannen nach dem Tod Eures königlichen Vaters.«
    »Ja, mein Vater hatte andere Pläne für mich …«
    Das sagte er so bitter und traurig, daß es mir das Herz abschnürte. Gleichzeitig staunte ich aber, daß er in die Absichten
     des seligen Königs eingeweiht gewesen war. Denn nur wenige am Hof wußten, daß Henri Quatre einige Wochen, bevor er ermordet
     wurde, Bassompierre in geheimer Mission zum Herzog von Lothringen gesandt hatte, um Ludwig mit dessen Tochter zu vermählen.
    »Und jetzt?« fragte Ludwig nach einer Weile, »wie steht es zur Stunde?«
    »Spanien hat endlich eingewilligt, die ältere herzugeben, und wie Madame de Guise sagte, ist es nun beschlossene Sache.«
    Ludwig stand eine Zeitlang mit gesenkten Augen unbeweglich und stumm. Dann straffte er sich, hob die Augen und sagte in entschlossenem
     Ton: »Also gibt es keinen Ausweg mehr.«
    Am Ende legte er mir die Hand auf den Arm und sagte halblaut: »Sioac
,
seid nicht gekränkt, wenn ich Eure Anwesenheit in den nächsten drei, vier Tagen nicht bemerke. Ihr kennt den Grund.«
    Ich wollte ihm antworten, als an die Eichentür der Waffenkammer geklopft wurde und eine volltönende Stimme erscholl: »Sire,
     hier ist Euer Großkämmerer.«
    »Tretet ein, Monsieur d’Aiguillon«, sagte Ludwig, indem er den Lappen ergriff und tat, als säubere er seine Hände.
    In das Kabinett schob sich der imposante Schmerbauch des |165| Großkämmerers, dann folgte sein breites Doppelkinn, auf welchem die vollen Backen seines edlen Hauptes ruhten.
    »Sire«, sagte er

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