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Königskind

Königskind

Titel: Königskind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R Merle
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führte durch einen gewölbten
     Torweg in den Hof des Louvre.
    Den Strom des Gesindes morgens und abends durch den ›Schalter‹ zu schleusen erschien zu umständlich. Also ergoß er |188| sich durch die weit geöffnete Porte de Bourbon über beide Brücken. Das heißt, niemand wurde kontrolliert: eine Nachlässigkeit,
     die es verwegenen Schnapphähnen ermöglichte, sich morgens unter das Gewimmel der Livrierten zu mischen, sich in das Schloß
     einzuschleichen und, wie schon gesagt, sich an der Garderobe der Königin zu vergreifen. Und nachdem sie ihren Raub in irgendeinem
     Winkel versteckt hatten, gelangten sie abends im selben Strom mit ihren großen Bündeln hinaus, als trügen sie wie die Wäscherinnen
     Schmutzwäsche in die Waschhäuser der Stadt.
    Nach dem Quietschen der Porte de Bourbon und dem endlosen Fußgetrappel, wenn das Gesinde in den gepflasterten Hof des Louvre
     einzog, dröhnte in meinen morgendlichen Dämmer wenig später der Gardeaufzug über die Holzbrücke, der die abziehende Nachtwache
     ablöste. Und weil der Schritt beider Kompanien derselbe war, ließ ich mir’s in meinem Halbschlummer gleich sein, ob es die
     blauen Röcke mit den roten Litzen waren oder die roten Röcke mit den blauen Litzen, die da auf- oder abzogen.
    Sowie aber die Flut des Gesindes sich auf die vier Ecken des Hofes verteilt hatte und rücksichtslos schwatzend, einander zurufend
     und Türen knallend in den Louvre einfiel, wo ein jeder durch Gänge und Galerien seiner Stelle zueilte, wurde der riesige Palast
     zu einem so wimmelnden Ameisenhaufen, daß es auch um den Rest meines Schlafes geschehen war. Und war ich erst voll erwacht,
     galt mein erster Gedanke Frau von Lichtenberg, mit einem unendlichen Glück und dann sogleich mit einer ebendiesem Glück entsprungenen
     Qual. Denn jede Minute meines Erdenlebens hätte ich bei ihr verbringen mögen, während mich der Dienst beim König doch für
     so lange Stunden im Louvre festhielt und, wenn der Hof in Saint-Germain-en-Laye weilte, sogar für endlose Tage.
    Sicher war ich stets gleichermaßen bemüht, meinem kleinen König zu dienen und ihm mit meinen schwachen Mitteln in der Einöde
     seines Daseins beizustehen. Aber dazu hatte ich wenig Gelegenheit, denn aus den genannten Gründen ließ Ludwig manchmal eine
     ganze Woche verstreichen, ohne das Wort an mich zu richten. Und seiner Person so fremd, während ich doch um ihn war, und gleichzeitig
     so fern meiner Gräfin, hatte ich das niederdrückende Gefühl, umsonst zu leben.
    |189| Wenigstens aber war ich Frau von Lichtenberg in Paris nahe und fühlte durch noch so viele Wände und Mauern ihre Gegenwart.
     In Saint-Germain-en-Laye hingegen ging dies nicht halb so gut, denn hier war ich der Gefangene des Hofes für eine Dauer, die
     ich weder abkürzen noch überhaupt vorhersehen konnte, weil darüber andere entschieden. Diese Ungewißheit zehrte so sehr an
     mir, daß ich dann in einem unvorstellbaren Sehnen nach Frau von Lichtenberg lebte, das mir die Kehle dörrte, meine Hände zittrig
     und mein Herz beklommen machte.
    Alles außer ihr war Langeweile. Mich verlangte nach ihr mit einer solchen Ungeduld, daß ich nicht wußte, wie ich den ganzen
     Tag überstehen sollte, bis es Nacht war, und die ganze Nacht, bis es wieder Tag war. Und wenn der Hof endlich nach Paris zurückkehrte,
     fand ich sie, wenigstens dem Anschein nach, so seelenruhig, so gefaßt, so um das Schickliche besorgt, daß ich, außerstande,
     mir Zügel anzulegen, nur mehr stammeln konnte und mich fragte, ob sie mich wirklich liebte. Sei es, daß eine so jugendliche,
     so wenig zurückhaltende Liebe sie rührte, sei es, daß sie der Ansteckung des Begehrens nachgab, jedenfalls, wenn ich sie dann
     entkleiden durfte, wußte ich nichts mehr, überschwemmte sie nur noch mit meinen Zärtlichkeiten, ohne daß mir jemals der Gedanke
     kam, ich könnte ihrer eines Tages satt werden. Ganz im Gegenteil, denn im selben Augenblick, da ich sie besaß – sofern dieses
     Wort überhaupt einen Sinn hat –, verlangte ich schon aufs neue nach ihr.
    Damit in der Rue des Bourbons über meine zu häufigen Besuche nicht geklatscht werde, wollte Frau von Lichtenberg, daß ich
     nicht mehr zu Pferde oder in der wappengezeichneten Kutsche meines Vaters käme, sondern wie zur Zeit meiner Deutschstunden
     in einer Mietdroschke. Und genau entsinne ich mich des sechsundzwanzigsten Januars, als ich in so bescheidenem Gefährt in
     ihren Hof einfuhr und Nase an Nase auf

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