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Königskind

Königskind

Titel: Königskind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R Merle
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Zeichen der Einwilligung. So beschränkt er sein mochte, hatte er doch ein Herz. Und nur zu gut
     wußte er wie alle, die dabei gewesen waren, daß Ludwig nie jenen vierzehnten Mai vergessen konnte, an dem er seinen Vater
     im blutigen Wams hatte liegen sehen mit geschlossenen Augen, wächsernem Gesicht, in einer erschreckenden Starre.

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    |186| SIEBENTES KAPITEL
    Seit Louison mein Kabinett verlassen hatte und mich morgens nicht mehr auf die beschriebene Weise aus dem Schlaf lockte, weckte
     mich Paris, und zwar zuerst durch seine Hähne.
    Wie es in dieser großen Stadt nur wenige Häuser, ob adlig, ob bürgerlich, gibt, die nicht einen Wirtschaftshof, einen Stall
     für ihre Pferde und einen Brunnen haben, um nicht auf das faulige Seinewasser angewiesen zu sein, so gibt es gewiß keines
     ohne einen Gemüsegarten und ohne Hähne, die über eine Schar Hennen regieren und sich bei Tagesanbruch mit Geschrei in den
     verschiedensten Tonlagen vor ihrer Herrschaft brüsten.
    War das hundertfältige Spektakel der Pariser Hähne schließlich verstummt, ertönte hell und fröhlich das Glockenspiel der Samaritaine
     vom Pont-Neuf. In dessen letzte Klänge fiel das Uhrwerk des Gerichtspalastes ein mit seinen dunkel drohenden Schlägen wie
     zur Mahnung, daß Justitia stets darüber wachte, daß man die Kleinen hänge und die Großen laufen lasse. Dann läuteten endlos
     die Glocken von Saint-Germain-l’Auxerrois, die hundert Kirchen der Hauptstadt fielen ohne jede Achtung vor dem Schlaf der
     Pariser ein und befahlen ihren Getreuen, sich ihrem warmen Pfühl zu entreißen, herbeizueilen und ihre Sünden zu bereuen.
    Sobald die Frühmessen begannen, verhallten die Glocken, und eine köstliche Stille folgte, doch dauerte sie viel zu kurz, als
     daß ich wieder hätte einschlummern können, denn schon legten mit ihren vollbeladenen Kähnen am nahen Hafen Port au Foin die
     Seineschiffer an, schwere Jungs allesamt. In ihrer kehligen Mundart riefen sie einander zotige Scherze zu oder gröhlten Lieder,
     die den morgendlichen Beterinnen, die durch die Gassen eilten, hätten sie das gehört, die Schamröte in die Wangen getrieben
     hätten.
    Zu diesem Heidenlärm gesellte sich aus allen Ecken und Enden von Paris alsbald das höllische Geratter der schweren Karren,
     die dem Hafen zustrebten, um Stroh und Heu, Holzscheite, |187| Fleisch und Grünzeug zu laden, alles, was die Kähne herbeigeschleppt hatten. Und besagte Karren wurden von Körperschaften
     geführt und begleitet, die in Hinsicht auf Maulfertigkeit, gepfefferten Humor und Wegelagerei den Seineschiffern in nichts
     nachstanden: die Kutscher, Lastträger und Fleischhauer.
    All dies grobianische Volk führte quasi unter meinen Fenstern sein Palaver aus Witzeleien und schmutzigen Gesängen, das gelegentlich
     auch in Schimpfkanonaden und wildes Handgemenge ausarten konnte, wo Peitsche, Stock oder Messer tödlich trafen, ohne daß die
     Bewaffneten der Schloßvogtei im mindesten eingriffen, weil sie ausschließlich damit beschäftigt waren, die riesigen Torflügel
     der Porte de Bourbon zu öffnen und einen hundertfachen Menschenstrom einzulassen: das Gesinde des Louvre. Doch selbstverständlich
     hätten unsere schönen blauen Waffenröcke auch sonst nicht geruht, den Flußschiffern und Fleischhauern einen Blick zu gönnen
     oder sie auch nur mit der Hellebardenspitze zu berühren, außer die Kanaille wäre darauf verfallen, mit Gewalt in den Louvre
     einzudringen.
    Die Porte de Bourbon, die eine so entscheidende Rolle in Concinis Schicksal spielen sollte, öffnete sich zwischen zwei dicken
     Rundtürmen, die mein Vater liebte, weil sie ihn an die Burgen des Périgord erinnerten; mich dagegen, Kind einer neuen Zeit,
     dünkten sie ziemlich altertümlich. Das Tor aus dicken, eisenverstärkten Bohlen, dessen mächtige Angeln ich bis in mein Bett
     quietschen und ächzen hörte – obwohl man sie von Zeit zu Zeit schmierte, doch hätte man, um dem Gekreisch abzuhelfen, die
     Flügel ausheben und den Rost abschleifen müssen –, öffnete den Durchgang über eine feste Holzbrücke, ›schlafende Brücke‹ genannt,
     die wiederum auf zwei Zugbrücken führte, die nebeneinander den tiefen, morastigen Wehrgraben überspannten, der uns von Paris
     trennte. Die schmalere führte zu einer Fußgängerpforte, die man den ›Schalter‹ nannte, weil die Eintretenden dort bei Bedarf
     kontrolliert werden konnten. Die zweite Brücke war breit, aber gerade nur für eine Karosse, und

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