Königskind
Tage darauf sah ich Ludwig erst um neun Uhr abends, weil ich mich bei Frau von Lichtenberg verspätet hatte, und man wusch
ihm gerade die Füße in Rosenwasser. Das gefiel ihm, überhaupt badete er lieber als sein Vater, dessen Leibesgeruch feine Nüstern
bekanntlich zu beleidigen pflegte. Dann setzte sich Ludwig, wie der schamhafte Héroard sagte, zu ›sei nem Geschäft‹, das heißt auf den einzigen Thron, den König, Priester und Bettler gemeinsam haben. Und weil er sogar dabei beschäftigt
sein wollte, ließ er sich eine brennende Kerze aufs Fensterbrett stellen und eine kleine Armbrust bringen, zielte und löschte
mit dem ersten Pfeil die Flamme, ohne die Kerze umzuwerfen. Wohl weiß ich, daß gewisse Leute am Hof in ihrem Eifer, den König
herabzusetzen, um der Regentin und |205| den Marquis von Ancre zu gefallen, ihm auch diesen Meisterschuß abstritten, aber ich kann ihn bezeugen, weil ich ihn mit eigenen
Augen sah.
Nachdem er sein ›Geschäft‹ erledigt hatte, wurde Ludwig zu Bett gebracht. Er ließ sich seine Soldaten kommen, die nicht wie
die meinen aus Blei waren, sondern aus Silber, und spielte noch eine Weile. Dabei verfolgte er wie stets aufmerksam, was ihn
betreffend um ihn gesprochen wurde, und besonders, welche Anweisungen Monsieur d’Auzeray von Monsieur de Souvré für den kommenden
Tag erhielt, an dem in seinen Räumlichkeiten unter den Augen des Herzogs von Pastrana die spanischen Heiratsverträge unterzeichnet
werden sollten.
Plötzlich hob Ludwig den Kopf und sagte: »Aber da unterschreibt Ihr, Monsieur de Souvré.«
Es war eine seiner Bemerkungen, die scheinbar keine Logik hatten und die Monsieur de Souvré kindisch nannte, weil er die Empfindungen
nicht begriff, denen sie entsprangen.
»Aber nein, Sire«, sagte er lebhaft, »Ihr unterschreibt! Ihr werdet doch morgen verheiratet.«
Woraufhin Ludwig den Kopf abwandte und auf einmal in schroffem Ton sagte: »Reden wir nicht davon!«
Ein kleiner, aber erhellender Zwischenfall trug sich am folgenden Tag in dem Moment zu, als es im Zimmer des Königs unter
großem Zeremoniell und in Gegenwart der Königinmutter, des Königs, Madames, ihres Bruders Gaston (der seit Nicolas’ Tod
Monsieur
hieß), des Nuntius Bentivoglio, des Herzogs von Monteleone, des Herzogs von Pastrana, der Prinzen von Geblüt und der hohen
Amtsträger der Krone zur Unterzeichnung kam.
Als Madame
,
den Gänsekiel in der Hand, sich anschickte, ihren Ehevertrag zu unterschreiben, wobei sie Blut und Wasser schwitzte und die
Zunge hervorstreckte (immerhin war sie erst zehn Jahre alt), stellte sich Ludwig hinter sie und stieß sie leise am Ellbogen,
damit sie sich verschreibe. Der Regentin entging die Geste nicht, sie runzelte die Brauen über das, was sie sicher für eine
bambinata
hielt, aber wenn ihr getrübter Sinn im Herzen ihres Sohnes hätte lesen können, hätte sie begriffen, daß er, wäre er Herr der
Dinge gewesen, sich nicht damit begnügt hätte, seine Schwester anzuschubsen: er hätte ihre Feder zerbrochen.
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|206| ACHTES KAPITEL
Weiß der Teufel, weshalb in den fünf Jahren seit meinem Einzug in den Louvre die Sommer in Paris so drückend und die Winter
so eisig waren. Es ist aber eine Tatsache, daß der Himmel damals dem natürlichen Lauf der Dinge gleichsam abhold war und ständig
über die Stränge schlug, so auch im November 1613, als jählings und leider für lange Dauer Frost über Paris hereinbrach und
daumendickes Eis die Seine bedeckte.
Das kam nicht ohne Weh und Ach für Ludwig, der so gerne durch Berg und Tal streifte und in den Gehegen Fell- und Federvieh
jagte. Er mußte sich bescheiden, auf einem überdachten Rasen Ball zu spielen, was ihn an jenem Morgen immerhin so weit stärkte,
daß er der unleidlichen Witterung spotten konnte.
»Welch schönes Wetter«, sagte er, als er in seine Gemächer trat, »um sich seinen Studien zu widmen! Auch wenn ich dazu keine
Lust hätte: das Wetter machte sie mir. Alsdann, Monsieur de Souvré, lernen wir! Werden wir gelehrt!«
Aber auf diese nicht alltäglichen Scherzworte hin lächelte Monsieur de Souvré nicht. Blaß, mißmutig, zwei bittere Falten um
den verkniffenen Mund, zog er ein ellenlanges Gesicht.
»Sire«, sagte er mit verdrossener Miene, »anstatt zu studieren, werdet Ihr heute Morgen ein kleines Kompliment auswendig lernen.«
»Schon wieder, Monsieur de Souvré?« sagte der König. »Und ein Kompliment für wen? Für einen
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