Königskind
Concini ein niedrig geborener Wolf von jenseits der Berge ist: er ist ein Wolf. Und Tiere der Sorte gehen einander
nicht an die Kehle, da man ihnen ja das ganze Reich zum Fraß überläßt.«
* * *
|211| Über die Erhebung des Marquis von Ancre in das Marschallamt wurde im Louvre viel geredet, doch tat man es im Flüsterton, um
sich spähend und bevorzugt auf der Treppe Heinrichs II., die ob ihrer Größe den Vorteil hatte, daß man von weitem sah, wer
an Lauschern und Spitzeln herauf- oder herabgestiegen kam. Aber im Pariser Volk, das so gern rebellisch und spottlustig ist,
ging es nicht derart auf Sammetpfoten zu, und die Marschälle von Ancre wurden laut Mariettes Berichten von morgens bis abends
durch den Kot gezogen, und nur zu Recht, hieß es, denn von da seien sie gekommen. Allerdings wurde auch die Königin dabei
nicht verschont, weil die Pariser nicht glauben mochten, daß sie einen so unwürdigen Ausländer mit Ehren überschüttete, ohne
daß es in ihrer Witwenschaft nicht einen persönlichen Grund dazu gegeben hätte.
Kurz, die Marschälle von Ancre wurden mit Sticheleien, mit Spottliedern verhöhnt, man machte nach ihrem Bild groteske Puppen
und hängte sie an den Gittern des Gerichtspalastes auf, sie wurden verantwortlich gemacht für das Elend des Volkes und für
die Verschleuderung des Staatsschatzes (seltsamer weise ohne jemals zu bedenken, daß daran auch die Großen ihren Anteil hatten).
Das Kuriose dabei war nur, daß die Regentin den Concini durchaus nicht mochte und ihn nur ihrer Engvertrauten zu Gefallen
so sehr erhöhte, die ihn aber auch nicht liebte, weil sie unter der Brutalität dieses Gatten genug zu leiden hatte. Das einzige,
was die Concini wollte, war Gold, doch zu seinem Unglück wollte der Marschall von Ancre auch herrschen. Und von seiner nahezu
unglaublichen Schamlosigkeit, schöne Leserin, will ich Ihnen eine Geschichte erzählen, die selbst nahezu unglaublich ist,
zumal auch verbotenes Zauberwerk und Magie und, wer weiß, sogar der Teufel da hineinspielen.
Wann diese Intrige statthatte, weiß ich nicht mehr, weil mein Tagebuch sie nicht vermerkt. Die Umstände indes stehen mir noch
so klar und bestürzend vor Augen, als hätte ich sie vergangene Woche erlebt.
Wahrhaft sonderbar ist, daß Frau von Lichtenberg, die doch so zurückgezogen lebte, mich als erste auf die Fährte von Dingen
brachte, die man im Schatten des Hofes spann.
Wie gesagt, war das einzige, was mir an meiner Gräfin nicht |212| behagte, ohne daß ich mir je erlaubt hätte, in der Hinsicht die geringste Ungeduld zu bekunden, ihre unheilvolle Gewohnheit,
um Schlag drei einen Imbiß einzunehmen, das heißt, in ebendem Moment, da ich ganz inbrünstig und glühend bei ihr eintraf und
es mich nach ganz anderem verlangte als nach Konfitüre.
Aber außer daß dieser Imbiß ein fest verankerter Brauch bei Standespersonen war, weil man für gewöhnlich um elf Uhr zu Mittag
aß und vier Stunden später einer kleinen Zwischenmahlzeit bedurfte, war meine Schöne auch genäschig, und weil ihr das Glück
jener Damen hold war, die nach Herzenslust zulangen können, ohne daß sie eines schönen Morgens ihre gesamte Garderobe auswechseln
müssen, ergab sie sich dieser kleinen Sünde mit Wonne. Auf die Dauer hatte ich allerdings den Verdacht, das Zeremoniell dieses
Schmauses diene auch dazu, mich zu quälen wie Tantalus in der Unterwelt, nicht ganz so, natürlich, denn Tantalus sieht schöne
Früchte sich seinem dürstenden Mund zuneigen und immer dann entziehen, wenn seine Lippen sie berühren, während meine Gräfin
höchst verdrossen gewesen wäre, hätte ich nicht schließlich in die Trauben ihres Weinbergs gebissen. Aber weit besonnener
als ich im Umgang mit den Freuden, die sie sich von unseren Begegnungen erwartete, schob sie diese gerne hinaus. Schmachtend
in ihrem Lehnstuhl und in ihrem schönen Putz, bestrich sie mit Unschuldsmiene ihre ewigen Waffeln, warf dann und wann einen
rasch niedergeschlagenen Blick nach mir, während ich ihr Gesicht und ihren Körper mit meinen hungrigen Augen überzog, die
Kehle so trocken, daß ich kaum sprechen konnte, und mit einem Herzklopfen, daß ich fürchtete, sie könnte es hören.
Gewiß, wenn endlich dann in ihrem Zimmer meine Hände und Lippen an die Stelle der Augen treten durften, verhinderten unsere
Spiele für so lange jegliches sinnvolle Gespräch, daß es tatsächlich besser war, alles Dringliche vorweg beim
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