Königskind
daß man sich trocknen konnte, weil die Etikette dies in Gegenwart Seiner
Majestät verbot. Und er, der nicht minder litt, mußte obendrein höchst widerwillig den kleinen Satz auswendig lernen, mit
dem er dem Herzog von Pastrana, dem Außerordentlichen Gesandten des Königs von Spanien, antworten sollte, der mit dem französischen
Hof die Eheverträge für den König und für Madame ausgehandelt und nun zu unterzeichnen hatte.
»Bitte, Sire!« sagte Monsieur de Souvré, »gebt Euch noch einmal Mühe! Eure Majestät kann nicht umhin, auf die Ansprache des
Herzogs von Pastrana mit einem Dank an den König von Spanien zu antworten und auch ihm ein kleines Kompliment zuzuwenden.«
»Ich will ja, Monsieur de Souvré«, sagte Ludwig mit einem Gehorsam, der mir nicht allzu echt vorkam.
»Alsdann, wiederholen wir, Sire: ›Ich danke dem König von Spanien für seinen guten Willen. Versichert ihn, daß ich ihn |201| stets ehren werde wie einen Vater, daß ich ihn lieben werde wie einen Bruder und seinem guten Rat folgen werde.‹«
»Wer hat diesen Text verfaßt, Monsieur de Souvré?« fragte Ludwig.
»Die Königin Eure Mutter, Sire«, sagte Monsieur de Souvré, »sicherlich beraten von Euren Ministern. Wollt Ihr bitte wiederholen,
Sire?«
»Gerne«, sagte Ludwig. »›Ich danke dem König von Spanien für seinen guten Willen. Versichert ihn, daß ich ihn stets ehren
werde wie einen Vater.‹ Monsieur de Souvré, warum soll ich ihn ehren wie einen Vater?«
»Weil er es dem Alter nach sein könnte: er ist vierunddreißig. Bitte, noch einmal, Sire!«
»Und warum soll ich ihn lieben wie einen Bruder?«
»Weil Ihr als König seinesgleichen seid, Sire.«
»Dann wäre er mir Vater und Bruder in einem?«
»Sire, das sind Redeweisen zwischen den Herrschern zweier großer Reiche. Also, wiederholt, Sire!«
»›Ich danke dem König von Spanien für seinen guten Willen. Versichert ihn, daß ich ihn stets ehren werde wie einen Vater,
daß ich ihn lieben werde wie einen Bruder und seinem guten Rat folgen werde.‹ Monsieur de Souvré«, fuhr Ludwig fort, »wie
kann ich dem König von Spanien gleich sein, wenn ich von ihm Ratschläge erwarte? Mir scheint, ich würdige mich sehr herab,
wenn ich das sage.«
»Mitnichten, Sire. Nicht, wenn sein Rat gut ist.«
»Woher, Monsieur de Souvré, kann ich im voraus wissen, ob es so ist?«
»Sire«, erwiderte Monsieur de Souvré mit einiger Ungeduld, »das sind einfach Höflichkeitsfloskeln. Bitte, wiederholt, Sire!«
Ludwig sagte den ganzen Satz, einschließlich des ›guten Rates‹, in einem Zug auf, ohne einmal auf den Text zu sehen.
»So war es gut, Sire!« sagte Monsieur de Souvré befriedigt. »Trotzdem wäre es besser, wenn Ihr das Kompliment langsamer sprechen
würdet. Langsamkeit gibt Würde. Herr Großkämmerer, was meint Ihr?« wandte sich Monsieur de Souvré an den Herzog von Aiguillon.
»Gewiß, Sire«, sprach der Herzog sogleich mit einer Stimme, als erklängen Orgelbässe in einer Kathedrale, »gewiß, Sire, schafft
getragenes Sprechen bei solchen Anlässen Würde.«
|202| »So, Herr Großkämmerer?« fragte Ludwig und wiederholte den Satz, indem er die Baßstimme des Würdenträgers so drollig nachahmte,
daß einige wie ich ihr Lächeln hinter vorgehaltener Hand verbergen mußten.
»Sehr gut, Sire«, sagte Monsieur de Souvré, der den Spaß dahinter nicht bemerkte. »Nur, drückt nicht so auf Eure Stimme.«
Nachdem der diplomatische Satz im königlichen Gehirn gespeichert war, wurden Ludwig die zeremoniellen Gewänder angelegt, die
so schwer waren, daß er noch einmal so schwitzte. Und ein goldener Stuhl wurde herbeigebracht, auf dem er Platz nahm.
Er brauchte nicht lange zu warten. Mit prächtigstem Gefolge erschien der Herzog von Pastrana, sehr lang, sehr hager, sehr
steif. Nach seiner dreifachen Verneigung vor dem König von Frankreich blickte dieser ihm mit regungslosem Gesicht entgegen,
der Herzog hielt in etwas sehr hartem Französisch eine kleine Ansprache, die an Getragenheit der Eloquenz unseres Großkämmerers
nicht nachstand, obendrein aber von ganz kastilischem
ardor
1 geprägt war. Als er geendet hatte, kniete er neuerdings nieder, und Monsieur de Souvré machte Ludwig ein Zeichen. Dieser sprach nun nicht ohne Würde und ohne jedes Stottern
die mühsam erlernten Worte.
»›Ich danke dem König von Spanien für seinen guten Willen. Versichert ihn, daß ich ihn stets ehren werde wie einen Vater und
lieben werde
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