Königskind
die gewundenen, vergoldeten Säulen um das Bett zu dick, das übrigens keine Vorhänge hatte, der Leser
wird verstehen, warum.
Am reizendsten und besten proportioniert zeigte sich uns, als wir dort eintraten, die liebliche Zohra, die tatsächlich jenes
Kreuz am Busen trug, damit die wohlgeborenen und vermögenden Edelmänner, die zu ihr kamen, sich in ihren Armen wenn schon
gegen die Moral, so wenigstens nicht gegen die Religion versündigten.
Sie begrüßte uns mit einem anmutigen Salemaleikum, das die Kurven ihres jungen Leibes hübsch in Geltung setzte und dessen
Demut im Kontrast stand zu den Blicken, die sie uns gleichzeitig zuwarf und die uns auf Erden schon jenes Paradies versprachen,
das den Erwählten ihres alten Glaubens im Jenseits nicht nur klare, rauschende Bäche und schöne Früchte in Reichweite verheißt,
sondern, wie wunderbar, auch
houris
mit stets sich erneuernder Jungfräulichkeit.
Ob Zohra, die das blaue Zimmer mit ihren Reizen verschönte, diese Wundergabe besaß, weiß ich nicht, aber ich traute ihr sehr
wohl zu, einen ehrbaren Christen auf fliegendem Teppich zu dem kleinen irdischen Eden unserer Sinnesfreuden davonzutragen,
des einzigen, dessen wir in unseren schwachen Augenblicken ganz sicher sind. Aber Bellegarde hatte zur Stunde kaum Lust, diese
Lockungen ins Auge zu fassen, und schritt, ohne sich aufzuhalten, in das angrenzende Kabinett, wohin ich ihm folgte, nicht
ohne ein paar ermutigende Klapse auf La Barges Schulter, der vorm Übermaß seines Glücks wie erschlagen stand.
Als der arme Bellegarde seine Maske abnahm, sah ich das edle Gesicht ganz gramzerfurcht, und kaum war die Tür geschlossen,
dankte er mir mit erstickter Stimme, seinem Hilferuf entsprochen zu haben, dann fiel er seufzend in einen Sessel, nahm sich
von einem Tischchen eine Weinkaraffe, füllte sich einen Purpurkelch bis zum Rand und leerte ihn auf einen Zug.
»Chevalier«, sagte er ohne Umschweife, »wenn sich kein Mittel findet, den Prozeß auszusetzen, den die Concinis gegen Moysset
angestrengt haben wegen dieses verdammten Spiegels, bin ich alles los, vielleicht sogar das Leben.« Und nach diesen nicht
eben klaren Worten verstummte er.
»Verzeihung, Monseigneur«, sagte ich, »aber ich verstehe |218| gar nichts. Bitte, steckt mir ein Licht auf und erklärt, was es auf sich hat mit diesem Moysset, mit dem Prozeß, den man ihm
macht, und mit diesem Spiegel, der dazu den Anlaß gab.«
Doch anstatt hierauf zu antworten, schüttete Bellegarde mir plötzlich sein Herz aus, machte sich als erstes Luft von einem
Übermaß an Bitterkeit und erzählte wutentbrannt – was der ganze Hof längst wußte –, welche Bosheiten Concini sich gegen ihn
herausgenommen hatte: kaum Marquis und Erster Kammerherr geworden, versuchte der Schurke, ihm mit Hilfe der Regentin seine
Wohnung im Louvre wegzunehmen. Auf sein Recht pochend, hatte Bellegarde sich nicht vom Fleck gerührt, so daß die Königin diesem
Bettler auf ihre Kosten ein prächtiges Haus an der Porte de Bourbon errichten mußte. Schlimmer noch, anläßlich von Ludwigs
Salbung hatte der unverschämte Hanswurst die Stirn gehabt, ihm, Bellegarde, einem Herzog und Pair, Großrittmeister Frankreichs
und Gouverneur von Burgund, den Vortritt streitig zu machen, und auf ausdrückliche Anweisung der Königin hatte er diesem kleinen
Marquis von Scheiße tatsächlich nachgeben müssen.
»Monseigneur, um Vergebung«, sagte ich, »aber spracht Ihr nicht von einem Prozeß?«
Auf die Frage entgegnete Bellegarde mit einer erregten Gegenfrage: »Chevalier, wißt Ihr, was der Nuntius Bentivoglio mir gestern
geflüstert hat?«
»Nein, Monseigneur.«
» La moglie ha in mano la volontà della regina e il marito lo scettro del regno.
1 Es herrscht nämlich große Empörung in ganz Europa, sogar im Vatikan, über die außerordentliche Gunst, die diese erbärmlichen Schurken genießen.«
»Das glaube ich gern, aber, Monseigneur«, sagte ich wieder, »spracht Ihr nicht von einem Prozeß gegen einen Moysset wegen
eines Spiegels?«
»Aber nicht irgendeines Spiegels!« schrie Bellegarde. »Das ist ja das Problem! Es war ein Zauberspiegel.«
»Ein Zauberspiegel?« wiederholte ich verblüfft. »Und was haben Moysset und dieser Spiegel miteinander zu schaffen?«
»Gott ist mein Zeuge«, sagte Bellegarde mit stockender Stimme. »Ein vortrefflicher Mann: er leiht mir Geld ohne Zinsen. |219| Er ist mein Freund, auch wenn er ein kleiner Bürger
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