Königskinder (German Edition)
Ein paar wurden gestern entlassen. Sobald Du vom Home Office die Benachrichtigung von meiner Freilassung erhältst, schick mir bitte ein Telegramm, denn ich werde es nach Dir erfahren. Ich darf Dir erst am Tag meiner Abreise ein Telegramm schicken, was ich auch tun werde. Soll ich es vielleicht an die Fabrik schicken, damit es Dich gleich erreicht? Vom Tag der Verständigung der Frauen an dauert es üblicherweise noch drei oder vier Tage.
Dein Eric
26. Oktober
Am 24. hatte ich die Anhörung, die normalerweise der Entlassung vorausgeht. Danach dauert es 14 Tage bis sechs Wochen. Wir müssen uns also nochmals in Geduld üben. Jetzt gehen jede Woche ein paar «Australier», es besteht also Hoffnung. Je näher der Augenblick rückt, desto aufgeregter werde ich, und ich schaue mir oft Dein Foto an. Ich weiß, dass wir nicht wirklich glücklich sein können, solange es so viel Elend auf der Welt gibt, aber die Untätigkeit ist fast ebenso deprimierend wie all das Böse. Ich möchte mich vollständig in die Arbeit versenken, um keine Zeit zum Nachdenken zu haben. Mein Englisch hat sich wahrscheinlich nur schriftlich verbessert, denn man hat wenig Gelegenheit, Englisch zu sprechen, wenn man mit deutschsprachigen Leuten eingesperrt ist. Ich lese viele Bücher und drei Zeitungen täglich, was meinen passiven Wortschatz bereichert. Du bist die bessere Linguistin von uns beiden, ich habe Deine Fähigkeit, Dir neue Sprachen anzueignen und sie unverzüglich anzuwenden, immer bewundert.
Dein Eric
52, Beech Road, St. Albans, 27. Oktober 1941
My dearest Eri, Deinen heutigen Geburtstag wirst Du traurig und einsam verbringen. Mich beunruhigt, dass Du immer noch im Camp bist, während viele Deiner Mitinternierten schon frei sind. Allmählich verliere ich die Hoffnung und bin deprimiert, weil man nicht weiß, wann das alles ein Ende hat. In unserer Fabrik ist es kalt und nicht gerade angenehm. Aber das wäre mir egal, wenn Du nur bei mir wärst. Kannst Du denn nichts unternehmen, um die Sache zu beschleunigen? Es wäre viel einfacher, allein zu sein, wenn es keine Hoffnung gibt, aber seit Du wieder im Land bist, drehe ich allmählich durch. Mein Bruder hat am gleichen Tag Geburtstag wie Du. An diesem Tag denke ich mehr als sonst an das Elend meiner Familie in diesem kalten Winter, inmitten der mörderischen Nazis in Warschau. Werde ich ihn wiedersehen? Und meine Eltern? Was ist aus Deinen Brüdern Georg und Heinz geworden? So viele Fragen, die nicht beantwortet werden, bis der Krieg zu Ende ist. Ich bin traurig.
Deine Irka
52, Beech Road, St. Albans, 28. Oktober 1941
Eri, mein Liebling, ich habe Deinen Brief vom 22. Oktober erhalten und muss zugeben, dass ich ziemlich verzweifelt bin. Warum gehen diese Leute alle heim, nur Du nicht? Rate mir, was ich tun soll. Das Warten hat mich schrecklich nervös gemacht, ich kann nicht mehr lachen, ich kann kaum noch meine Arbeit verrichten. Ich kann an nichts anderes denken als an Dich, von nichts anderem sprechen als von Dir. Für die anderen ist das nicht lustig. Wenn Du entlassen wirst, schick das Telegramm nicht an die Fabrik, sondern zu mir nach Haus, meine Wirtin wird es mir vorbeibringen. Schreib auch bitte, um wie viel Uhr und an welchem Bahnhof Du ankommst, damit ich Dich in London abholen kann. Bitte schreib dem Home Office, sie sollen sich beeilen. Ich habe schon zweimal geschrieben und traue mich nicht mehr.
Abgesehen davon bin ich gesund, ein bisschen müde nur. Die Leute, bei denen ich wohne, sind extrem nett, aber diese Nähe zu ihnen passt mir nicht. Ich warte auf Dich, und dann entscheiden wir, wie es weitergeht. Eri, Liebster, was kann ich tun, um Dich zurückzubekommen? Ich würde mein halbes Leben hingeben, wenn ich Dich jetzt bei mir haben könnte.
Gute Nacht, mein Junge.
Deine Irka
29. Oktober
Irka: Ich liebe Dich an 365 Tagen im Jahr und kann den Augenblick nicht erwarten, es Dir zu beweisen!
Eric
52, Beech Road, St. Albans, 2. November
Mein liebster Eric, ich bin verzweifelt über die Länge unserer Trennung. Wieso kommen die anderen frei und Du nicht? Letzte Woche habe ich jeden Tag auf einen Brief vom Home Office gewartet. Wieder nichts. Jetzt sagst Du mir, es kann noch Wochen dauern. Mr. Williams hat sich auch schon erkundigt, denn er braucht Dich. Es ist nun bitterkalt, und ich habe keine Heizung in meinem Zimmer, so sitze ich unten bei den Leuten, aber das ist mir nicht immer recht. Gestern war ich im Kino und ging bei Mondlicht heim. In Gedanken führte ich
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