Königskinder (German Edition)

das Foto, das Du mir vor ewigen Zeiten versprochen hast!
Cheerio, Eric
29. September
Irka Darling, mach Dir keine Sorgen wegen des Zimmers, ein Zimmer ist vollkommen in Ordnung für den Anfang.
Eric
2. Oktober
Du fragst, was ich mir zum Geburtstag wünsche. Wenn meine Träume wahr werden, dann bekomme ich das wertvollste Geschenk meines Lebens: Dich, die Freiheit, Arbeit und – endlich – die Schreibmaschine, die Du mir vor einer Ewigkeit gekauft hast.
Dein Erich
52, Beech Road, St. Albans, 5. Oktober 1941
Mein liebster Eric, ich habe leider keine alte Hose gefunden, es gibt nur zwei neue Anzüge, eine neue Flanellhose und einen ungetragenen Mantel. Trag doch bei der Arbeit Shorts, das tun die Kinder hier das ganze Jahr über. Aber natürlich nur, wenn Du dabei nicht frierst, die englischen Kinder sind vielleicht abgehärtet.
Gestern Nacht bin ich in ein neues Haus gezogen, das Zimmer ist sehr klein, aber ganz nett. Ich schlafe in einem riesigen Doppelbett, in dem ich mich ganz verloren fühle. Wahrscheinlich wird dieses Zimmer für uns beide nicht geeignet sein, es war dumm von mir, es zu nehmen, ich war zu höflich, um das Angebot auszuschlagen. Es kam überraschend, denn diese Leute haben es nicht nötig, ein Zimmer zu vermieten. Es ist ein modernes Haus, hell und sauber, der Nachteil aber ist, dass die Besitzer sich zu sehr in meine Angelegenheiten einmischen. Ich bin wenig zu Hause, und sie suchen immer wieder meine Gesellschaft. Leider werden wir noch eine Weile mit ihnen leben müssen. Doch wenn wir nicht hierbleiben wollen, wird es für Dich als Mann leichter sein, eine Ausrede zu finden. Wenn Du nur schon bald kommen würdest! Darling, ich habe kein Foto von mir, und es wäre eine Geldverschwendung, jetzt eins machen zu lassen. Wart’s nur ab und schau mich an, so wie ich bin, mittlerweile schon ziemlich alt. Morgen gehe ich zu unserem Firmenball, eine unserer Mitarbeiterinnen hat mir ein Ticket gekauft. Darling, komm bald, alles ist für Dich vorbereitet – ich nehme mir einen Tag frei, um das Ereignis voll auszukosten.
Deine Irka
Montag, 6. Oktober
Liebste Irka, jetzt bist du wahrscheinlich schon umgezogen, und ich hoffe, Du bist zufrieden. Lebst Du da mit einer Familie zusammen? Ich bin ja recht gesellig und freue mich über ein gelegentliches Schwätzchen, ich hoffe nur, dass wir genügend Zeit füreinander haben. Auch ich bin schon wieder umgezogen und wohne jetzt in Haus 7. Jeden Tag reisen Leute ab (die meisten haben aber viel länger gewartet als ich), und dann legt man die verbleibenden Internierten zusammen. Aber ich bin es gewohnt, meine Habseligkeiten zusammenzuraffen und weiterzuwandern, das tun wir ja schon seit 1934. Abgesehen davon ist das Haus, in dem ich jetzt wohne, wirklich gemütlich, aber hoffentlich wird es meine letzte Behausung in diesem Camp sein. Kannst Du Dir unser Wiedersehen vorstellen? Ich weiß gar nicht, ob ich mich noch im Verkehr bewegen kann und wie ich mich nach einer so langen Zeit der Isolation um Dich kümmern soll. Aber Du wirst es mir beibringen und achtgeben auf Deinen Rückkehrer, nicht wahr? Wieder einmal papierene Küsse und imaginäre Umarmungen
von Deinem Eri
10. Oktober
Irka, manchmal frage ich mich, ob es uns jemals wieder vergönnt sein wird, zuversichtlich in die Zukunft zu blicken. Ich antworte mir selbst dann mit einem entschlossenen Ja. Sollte ich mich irren, möchte ich nicht mehr leben. Bitte schreib bald.
Eric
16. Oktober
Darling, wenn die Nachrichten nur besser wären, wäre ich voller Hoffnung. In unserem Wohnzimmer brennt ein schönes Feuer, und draußen regnet es in Scheffeln. Gern würde ich Dir etwas von meiner Zeit abgeben, die ich mit Lesen verbringe, man kann ja nicht den ganzen Tag lesen. Darling, ich erinnere mich an die Zeit, als wir jedes Buch gemeinsam lasen, einander manchmal Abschnitte laut vortrugen. Jetzt habe ich niemanden, mit dem ich die guten und die schlechten Dinge teilen kann, aber warte nur, bald! Kannst Du mir über die Arbeit schreiben, die ich in der Fabrik werde verrichten müssen?
Dein Eric
22. Oktober
Liebste, vielen Dank für das hübsche Bild, das Du mir mit Deinem letzten Brief geschickt hast. Ich erkenne keinen Unterschied in Deinem Aussehen zu damals, als die Leute Dich fragten, ob Du schon die Matura gemacht hast, und seitdem ist nun wirklich viel Zeit vergangen! Noch hoffe ich, das Camp im Oktober verlassen zu können, denn allmählich scheint Bewegung in unsere Reisegruppe aus Australien zu kommen.