Königskinder (German Edition)
habe barfuß zu erfolgen, damit der Holzboden des Decks nicht beschädigt werde. Außerdem müssten sich zwei Männer bereit erklären, regelmäßig das Deck zu schrubben. Diese Forderung löst spontane Empörung aus.
«Das kommt nicht in Frage!»
«Was glauben die eigentlich? Wir sind doch keine Sträflinge!»
Grünberg zieht ab, um dem Kommandanten mitzuteilen, die Gruppe werde es sich noch überlegen. Am Ende finden sich zwei, die dank besserer Einsicht freiwillig den Job übernehmen, und aus Solidarität lässt man sie dann auch nicht mit dieser Aufgabe allein.
Angesichts des Gestanks und der drückenden Enge im Unterdeck freuen sich die Männer auf den kurzen Aufenthalt im Freien. Doch der «Hofgang» erinnert sie noch mehr daran, dass sie rechtlose Gefangene und einem Rudel feindseliger Sadisten ausgeliefert sind.
«Fünfzehn Minuten exercise ! Alle nach oben! Im Laufschritt!», erschallt es übers ganze Schiff, und schon quellen Männermassen aus allen Türen an Deck. Bemannte Maschinengewehre sind auf sie gerichtet, und die Soldaten sehen aus, als sehnten sie sich danach, ihre Waffe endlich wieder in ihren Händen vibrieren zu spüren.
Unter unflätigen Beschimpfungen müssen die Internierten im Kreis laufen, wer nicht mehr kann, macht Bekanntschaft mit dem Gewehrkolben. « Hurry up! Schneller, schneller! Aufrücken!», rufen die Soldaten und machen sich einen Spaß daraus, den Männern ihre zuvor ausgetrunkenen Bierflaschen vor die Füße zu werfen. Zerbrechen sie, sind die Internierten gezwungen, barfuß über die Glasscherben zu laufen, auch der katholische Priester und der Rabbiner im schwarzen Anzug, Ausnahmen werden nicht gemacht. Die indischen Matrosen, die gewohnt sind, von Weißen herumgestoßen zu werden, genießen nun grinsend, ausnahmsweise auf der anderen Seite zu stehen. Und auf dem obersten Deck sitzen die Offiziere, nippen an ihrem Whisky und beobachten amüsiert das unwürdige Schauspiel.
Erich erkennt den Soldaten, der ihm seine Waterman entwendet hat. Im Vorüberrennen versucht er, ihn anzusprechen, wird aber nur zurück in den Kreis gestoßen. Bei der nächsten Runde holt ihn Sergeant Brown heraus. Der stämmige, brutale Mann, der mit einer stets schussbereiten Pistole herumläuft, wird von den Männern «Löwenjäger» genannt.
«Was hatten Sie mit dem Soldaten zu bereden?»
«Ich wollte ihm meinen Namen und mein Deck mitteilen, damit er mir meinen Füllfederhalter zurückgeben kann. Ohne Uhr kann ich leben, ohne Füllfeder nicht.»
«Was für ein Füllfederhalter?»
«Eine Waterman.»
Erich sagt, er glaube, den Soldaten erkannt zu haben, der sie ihm abgenommen hat. Jetzt trage er einen Helm, aber am Tag der Einschiffung habe er eine Mütze aufgehabt. Der Soldat habe ihm versichert, er könne einem Mitglied der britischen Armee vertrauen.
«Passen Sie ja auf! Quatschen Sie nicht so viel, sonst gibt’s Bunker. Und jetzt fuck off, filthy pig !»
Otto versucht, selbst dafür noch Verständnis aufzubringen. «Das sind arme Kerle, Dunkirk-Veteranen und verbittert über die Niederlage. Sie machen uns dafür verantwortlich und rächen sich jetzt. Obwohl man sich das schwer vorstellen kann, halten sie manche von uns vielleicht für Fallschirmjäger. Auf jeden Fall aber für Kriegsgefangene, also Feinde. Sie können nicht zwischen Nazis und uns Nazigegnern unterscheiden, wir sprechen alle deutsch. Sie können nicht wissen, wie loyal wir England gegenüber sind, wie dankbar, dass man uns aufgenommen hat. Vielleicht sehen sie in uns aber auch Verräter am eigenen Volk. Alles ist möglich. Und Antisemiten sind sie sowieso.»
«Eine teuflische Mischung», brummt Erich. «Der Löwenjäger ist kein armer Kerl. Mit den einfachen Soldaten könnte man versuchen, ins Gespräch zu kommen.»
«Das ist heute ja schon einmal gründlich misslungen.»
Die Posten nutzen die exercise , um unbeobachtet in den leeren Unterdecks nach noch nicht konfiszierten Sachen zu kramen. Nur die von einem Innenknopf des Hosenschlitzes baumelnden Ringe sind vor ihnen sicher. Respekt haben sie vor nichts, auch religiöse Kleidungsstücke, Gebetsbücher und Bibeln verschwinden spurlos. Wenn die Sprecher der einzelnen Decks sich bei den Offizieren darüber beschweren, verteidigen diese das Verhalten ihrer Untergebenen. Sie würden nur die Anweisungen des Kriegsministeriums befolgen, jeglicher Besitz würde den Internierten am Ende der Reise zurückgegeben. Fordert man sie auf, eine solche Zusage schriftlich
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