Königskinder (German Edition)
auf den Vulkan hinauf, um den Krater zu sehen. Schwarze Lava überall. Keine einzige Pflanze, kein Grashalm. Unheimlich war das, aber auch wunderschön. Die ganze Nacht blieb ich dort oben und konnte mich nicht sattsehen an den kleinen Explosionen und der rot glühenden Lava, die aus den Kratern spuckte. Es war ein großartiges Schauspiel und gar nicht gefährlich. Dachte ich damals.»
Arnold macht eine Pause, um die Spannung zu erhöhen.
«Und dann?»
«Am nächsten Morgen kehrte ich ins Dorf zurück, Piscità hieß es. Es war ja November und für die Dorfbewohner schon Winter, aber ich genoss die Wärme und beschloss, noch ein paar Tage zu bleiben. Ich ging sogar schwimmen. Und zwei Tage darauf …»
Nun ist es wirklich still geworden, die Jungen haben die Augen aufgerissen.
«Als ich am Morgen das Haus verließ, wo ich mir bei netten Leuten ein Zimmer genommen hatte, sah ich diese schwarze Ascheschicht, und da warf mich auch schon ein heftiger Windstoß zu Boden, es fühlte sich an, als würde ich niedergedrückt. Ein kurzer Blick zum Gipfel, und ich sah den Pilz, eine eindrucksvolle Wolke aus Asche und Steinen, begleitet von einem infernalischen Lärm, ein Donnergrollen wie ein sich bewegender Schrotthaufen. Später habe ich gehört, dass die ganze Insel um fast neun Meter angehoben wurde.»
«Wieso? Das war doch ein Vulkanausbruch und kein Erdbeben.»
«Ich bin kein Fachmann, aber ich glaube, es war wegen des Drucks im Inneren des Berges. Lasst mich jetzt fertigerzählen: Ich stürze hinunter zum Haus, vielleicht dreißig oder vierzig Meter. Kaum bin ich drinnen, höre ich die Steine aufs Dach prasseln, zuerst kleine, wie bei einem Regenguss, dann immer größere, die einen unglaublichen Lärm machten. Dazu ein Gezische wie bei einem Bombenangriff.»
«Hattest du keine Angst, dass das Dach einstürzt?»
«Doch, hatte ich, aber meine Wirtsleute beruhigten mich, das Haus habe schon den Ausbruch von 1919 überstanden. Sie riefen mir zu, mich unter den Türpfosten zu stellen. Die Wände waren an die neunzig Zentimeter dick, um das Haus im Sommer kühl zu halten, aber eben auch, um die Bewohner bei einem Vulkanausbruch zu schützen. Auch die Dächer der Häuser waren dick, gleichzeitig jedoch durch die Verwendung verschiedener Materialien elastisch genug, um dem Steinschlag standzuhalten. Nach etwa zwanzig Minuten Dauerbeschuss senkte sich eine Finsternis über das Dorf, und überall brachen Feuer aus, die von heftigen Windstößen weiter angefacht wurden. Unter den Füßen hörte ich ein Getöse wie Hammerschläge, erst war es unter der Erde, und dann kam es vom Krater her. Am nächsten Tag haben wir Steinbrocken mit einem Durchmesser von einigen Metern gefunden.»
«Gab es Tote wie in Pompeji?»
«Offiziell spricht man von acht Todesopfern, aber viele Bauern von auswärts waren gar nicht registriert, und fast alle Bewohner sind nach dem Ausbruch in Panik geflüchtet. Wie viele nach dieser traumatischen Erfahrung später auf die Insel zurückgekehrt sind, weiß ich nicht. Von mir selbst kann ich nur sagen, dass ich immer noch manchmal davon träume. Es war ein Gefühl totaler Ohnmacht.»
«Kann man einen Vulkanausbruch nicht voraussagen?»
«Da bin ich überfragt. Die Bewohner sagen, man kann an der Oberfläche des Wassers im Brunnen erkennen, ob sich etwas zusammenbraut.»
Mit dieser Antwort zufriedengestellt, zerstreut sich die Gruppe.
«Jetzt weißt du, wie du dich bei einem Vulkanausbruch zu verhalten hast», sagt Otto. «Unter den Türpfosten stellen. Das gilt übrigens auch für Erdbeben. Vielleicht brauchen wir das noch in Kanada – falls wir dort landen sollten.»
«Der Kanadische Schild gehört zu den ältesten Gesteinen der Erde. Dort sind in der bekannten Geschichte Kanadas bisher keine Erdbeben oder vulkanische Aktivitäten verzeichnet worden», doziert Erich. «Ein Satz, den ich für eine Geographieprüfung auswendig gelernt habe. Komisch, dass mir der immer noch einfällt.»
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12
Um die Mittagszeit des zehnten Tages auf See erscheint ein gewisser Dr. Grünberg, ein Anwalt, der nach einem unklaren Auswahlverfahren zum Vertreter sämtlicher Internierter ernannt wurde. Seine unangenehme Aufgabe ist es, die Befehle des Kommandanten an die Internierten weiterzugeben. Grünberg teilt den Männern von Erichs Unterdeck mit, dass sie mehrmals wöchentlich hinaufmüssen, um eine Art Hofgang an frischer Seeluft zu absolvieren. Die zehn- bis fünfzehnminütige exercise
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