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Königskinder (German Edition)

Königskinder (German Edition)

Titel: Königskinder (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Erica Fischer
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des elften November 1930 war die ganze Insel von einer feinen Schicht schwarzer Asche überzogen, und da sich viele Inselbewohner noch an den Ausbruch von 1919 erinnerten, rieten sie den Bauern dringend davon ab, auf ihre Felder zu gehen. Da damals aber viele Menschen in Panik die Insel verlassen hatten, gab es nicht wenige Bauern, die von anderswo angeworben worden waren und sich nicht mit den Vorzeichen eines Vulkanausbruchs auskannten. Während also die Alteingesessenen im Dorf blieben, gingen die Zugereisten wie jeden Tag raus, um ihre Felder zu bestellen.»
    «Wieso wissen Sie das so genau? Waren Sie dabei?», fragt ein blonder Junge, der klingt, als wäre er noch mitten im Stimmbruch, was aber nicht sein kann, denn die Jüngsten an Bord sind immerhin schon sechzehn.
    «Ja, ich war dabei», antwortet der Erzähler. «Du kannst ruhig du zu mir sagen, hier auf dem Schiff sind wir alle gleich. Ich heiße Arnold.»
    Er macht eine Pause, um dann leicht verlegen fortzufahren: «Das kam so: Meine Eltern waren reich, sehr reich, mein Vater hatte in Düsseldorf eine Kugellagerfabrik. Und nach meinem Abitur schickten sie mich auf Reisen, wie das in bürgerlichen Familien so üblich war, ich sollte erst einmal die Welt sehen, bevor ich später die Fabrik meines Vaters übernehme. Tja, damals ahnten wir noch nicht … alles arisiert …» Arnold blinzelt hinter seinen Brillengläsern und erzählt dann mit fester Stimme weiter. «Einer der Pflichtbesuche auf dieser Reise war Pompeji, und in Pompeji …»
    «Pompeji? Was ist das?», fragt wieder der blonde Junge.
    «Pompeji ist, also war, eine Stadt, eine Stadt der alten Römer, nicht weit von Neapel, eine schöne, reiche Handelsstadt mit luxuriösen Villen und einem Hafen. Vor zweitausend Jahren wurde sie von einem schrecklichen Vulkanausbruch zerstört.»
    «Da warst du aber nicht dabei», mischt sich ein anderer ein.
    «Nein, da war ich nicht dabei. Die Römer hatten Pompeji direkt am Fuß des Vesuvs gebaut. Und der Vesuv … Von dem habt ihr aber gehört?»
    «Vielleicht hab ich ihn auf einer Ansichtskarte gesehen. Vor meiner Geburt sind meine Eltern viel gereist. Mit diesen Karten hab ich als Kind gespielt.»
    Immer mehr Jugendliche beteiligen sich am Gespräch.
    «Wenn du eine Ansichtskarte von Neapel gesehen hast, dann war der Vesuv garantiert mit abgebildet. Der Vesuv und seine Rauchfahne.»
    «Und der Vesuv hat diese Stadt zerstört?»
    «Ja, es geschah ganz plötzlich, eine grauenhafte Katastrophe. Man kann sich heute noch die erstarrten Leichen ansehen, in der Stellung, in der sie der Tod ereilte. Ein Hund ist auch darunter. Da kann man sich das so richtig plastisch vorstellen.»
    «Und wenn der Vesuv schon einmal eine Stadt zerstört hat, könnte es nicht wieder passieren? Könnte er nicht Neapel zerstören?»
    «Ich weiß nicht … Seit langem kommt es nur zu schwachen Ausbrüchen, die nicht gefährlich sind und niemanden schrecken.»
    «Und wieso war es vor zweitausend Jahren so heftig?»
    «Das weiß ich nicht. Von Zeit zu Zeit wird ein Vulkan wütend, wie ein Mensch. Wirst du nie wütend?»
    «Doch. Aber ein Vulkan ist doch kein Mensch!»
    «Ich bin Schriftsteller. Da kann ich leider nicht alle eure Fragen beantworten. Es ist nur so, dass mich Vulkane faszinieren, auch weil ich selbst einen Ausbruch miterlebt habe. Und den werde ich nie vergessen. Manchmal träume ich davon.»
    «Aha, der Stromboli. Höchste Zeit, dass wir zum Thema zurückkehren. Wie war das also mit dem Stromboli?»
    Erich stößt Otto mit dem Ellbogen in die Rippen und deutet mit dem Kinn auf den Jungen, einen hochgeschossenen Schnösel mit Oxforder Akzent.
    «Solche Typen könnte ich strangulieren», flüstert Erich.
    «Gemach, gemach», kontert Arnold und macht eine abwehrende Handbewegung. Er genießt es sichtlich, die Jugendlichen weiter auf die Folter zu spannen. «Eine gute Geschichte erfordert eine entsprechende Vorbereitung. Also: Nachdem ich Neapel, Pompeji und den Vesuv besichtigt hatte, fuhr ich nach Stromboli. Mit einem Boot, denn das ist eine kleine Insel, eine vulkanische Insel, auf die ich neugierig war. Dort gibt es ständig kleine Eruptionen, Tausende im Jahr. Für die antiken Römer hatten die Flammen, die aus den Kratern des Stromboli zischten, in der Nacht die Funktion eines Leuchtturms.»
    «Gibt es auch heute noch Erup…, Erup…?»
    «Eruptionen. Ja, ich glaube schon. Aber als ich dort war … Ich stieg also in Begleitung eines Bauern am späteren Nachmittag

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