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Königskinder (German Edition)

Königskinder (German Edition)

Titel: Königskinder (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Erica Fischer
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und Wien langsam anzugehen. Förmlich an jedem Kuhstall blieb die Eisenbahn stehen, um die vollen Milchkannen aufzuladen. Erich war hinreißend. Sein gepflegtes Wienerisch umhüllte Irka wie ein Seidentuch. Weich und schmeichelnd war seine Stimme. Er redete und redete und lächelte und umgarnte sie. Eigentlich war sie eine stachelige Person, aber von Erichs Stimme ließ sie sich widerstandslos streicheln.
    Die erste Trennung war schrecklich. Haft für beide. Sechs Monate saß sie in Polizeihaft, ehe man sie nach Polen abschob. Vor ihrer Abreise durften sie einander kurz sehen. Erich hatte noch einige Monate abzusitzen, aber am Ende entließen sie ihn früher als gedacht, weil Bundeskanzler Schuschnigg auf Druck Hitlers eine Amnestie für die einsitzenden Nazis erlassen hatte, von der auch die Roten profitierten. Es war ein sehr emotionaler Augenblick, dieses Wiedersehen im Besucherzimmer des Grauen Hauses. Und da geschah es. Erich machte ihr einen Heiratsantrag, ganz im alten Stil. Er küsste ihr sogar die Hand. Bei einer Polin müsse das sein, sagte er.
    Und jetzt ist sie seine Frau. Vielleicht wäre es unter anderen Bedingungen nie dazu gekommen, Erich ist ein Charmeur, der seine Freiheit liebt, seine Freiheit und die Frauen. Noch nach Jahren kann Irka es nicht fassen, ein solches Glück. Ein Glück, das ständig bedroht wird. Erst die Haft, dann die Abschiebung, dann ihre Flucht nach England und nun das Schlimmste: Australien, in das sie ihm, so wie es aussieht, nicht wird folgen können. Eine größere Entfernung kann man sich nicht ausdenken.
    Irka schaut wieder in den Spiegel. Der Glanz ist aus ihren Augen gewichen, die unbändige Vorfreude. Sie hat sich das Haar wachsen lassen und mit Haarnadeln zu einer Rolle aufgesteckt, die ihr rundes Gesicht umrahmt. Das Haar und die Augen, die beiden Vorzüge in ihrem Gesicht, ihre assets , wie die Engländer sagen. Und jetzt?
    Sie denkt an die Zeit in Wien zurück, als die Nazis immer dreister wurden. Starr saßen sie in der Straßenbahn und schauten geradeaus, als drei junge Männer mit kurzgeschorenen Haaren «Wenn Judenblut vom Messer spritzt» grölten und keine Angst hatten, zur Rechenschaft gezogen zu werden. Da war Hitler noch gar nicht in Österreich einmarschiert. Damit meinten die Männer den sogenannten Arier Erich, nicht die jüdische Irka mit ihrem runden Gesicht und dem Dirndl. Denn Erich hat das, was sich die Nazis unter einer Judennase vorstellen, groß und gebogen. Natürlich hatte Irka damals Angst, aber nicht sehr, denn Erich war an ihrer Seite.
    Jetzt bleibt ihr nichts anderes übrig, als zu warten, allein in einem fremden Land. Alles erscheint ihr auf einmal unwirklich. Nur die schriftliche Bestätigung des Home Office, dass ihre Koffer seit dem zweiten August abreisebereit im Bloomsbury House lagern, ist ein Beweis, dass ihr Reisefieber nicht bloß Einbildung war, ein Wunschtraum, eine Fata Morgana.
    Was soll sie den ganzen Tag tun? Sie hat ja auch kaum noch Geld, weil sie alles in Waren umgesetzt hat. Eine Arbeit kann sie sich nicht suchen, wo sie doch jederzeit aufs Schiff zitiert werden kann. Ein Leben auf Abruf. Wie damals in Wien das Warten auf das britische Visum. Auf irgendein Visum, sie wäre auch nach Kolumbien gegangen. Aber man gewöhnt sich nicht daran. Die Trennung von Erich und die Ungewissheit sind ein nagender Schmerz, der nicht vergehen will.
    Mit Gusti, die noch kleiner ist als sie, aber trotzdem flache Schuhe trägt, macht Irka lange Spaziergänge im Battersea Park. Gusti ist zwar unpolitisch, ja manchmal sogar aufreizend naiv, aber in Notfällen eine echte Freundin, die zuhören kann und sie nicht mit gutgemeinten Ratschlägen nervt. Ihr Mann, der unter schwerem Asthma leidet, ist im Lager Warth Mills in der Kleinstadt Bury interniert, in der Nähe von Manchester. Irka erinnert sich, wie er bei jedem Besuch in ihrer Wiener Wohnung eine Pause auf dem Treppenabsatz einlegen musste, um zu inhalieren. Ein mit einer bräunlichen Flüssigkeit zur Hälfte gefüllter Glasbehälter mit Schlauch und Gummipumpe. Ohne dieses Gerät kann er nicht leben. Natürlich macht sich Gusti Sorgen um ihn. Sie sind sich einig, dass ein so kranker Mann wie Oskar niemals hätte interniert werden dürfen. Wie kann einer mit schwerem Asthma eine Gefahr für das Land sein? Es ist absurd.
    «Dem MI5 ist das Schicksal von Oskar Tisch egal», sagt Irka trocken.
    «Glaubst du wirklich, dass die Internierungen vom Inlandsgeheimdienst betrieben werden?»
    «Na

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