Königskinder (German Edition)
elegante Tochter eines Warschauer Filzfabrikanten und hoffnungsvolle, umschwärmte Kunststudentin aus Wien, sich nun als Putzfrau verdingen muss.
Bevor Erich in England eintraf, war ihr nicht nach Lachen zumute gewesen. Der erste Job, den sie über eine Arbeitsagentur gefunden hatte, brachte sie im Oktober 1938 in das Haus einer griesgrämigen alten Frau, deren einziger Spaß darin bestand, ihre junge Hausangestellte zu schikanieren. Sie hatte keine Ahnung, welcher Hölle diese gerade entronnen war, es interessierte sie auch nicht.
«Wieso haben Sie denn so viele Koffer?», fragte sie bei Irkas Ankunft.
«Ich musste doch alles mitnehmen.»
Ungläubig schüttelte die Alte den Kopf. «Noch nie hatte ich eine Haushaltshilfe mit drei Koffern.»
Die Köchin des Hauses führte Irka in ihr Zimmer unter dem Dach.
«Wieso ist hier kein Licht?»
«Dienstboten brauchen kein Licht.»
Die Köchin gab ihr sechs Flaschen und eine Handvoll Kerzen, die Irka in die Flaschenhälse steckte und um sich herum aufstellte. Wie aufgebahrt lag sie im Bett und weinte.
Der einzige Vorteil in diesem Haus war, dass ihre Alte selten vor dem Mittagessen aufstand. Vormittags schaltete Irka den Staubsauger ein und machte es sich mit ihren Englisch-Vokabeln in einem der weichen Fauteuils bequem. So rasch wie möglich Englisch zu lernen war jetzt ihre vordringlichste Aufgabe. In der Schule in Warschau hatte sie nur Französischunterricht gehabt.
Als Erich ankam, konnte sie sich bereits radebrechend verständlich machen. Mit fliegenden Fahnen kündigte sie ihrer Alten und zog zu ihm in seine Pension. Er beantragte eine Arbeitsbewilligung, und als married couple machten sie sich auf die Suche nach einer Anstellung. An einem bestimmten Tag hatten sie sich in einer zugigen Lagerhalle einzufinden, und englische Damen aus der Provinz kamen angereist, um sich ihre Dienstboten auszusuchen. Wie Pferde auf dem Jahrmarkt wurden sie begutachtet. Mit seinem blendenden Aussehen hatte Erich gute Karten. «I’ll take him!» , schallte es quer durch die Halle. Irka musste die Lady notgedrungen mit in Kauf nehmen.
Als sie Erich einige Monate später dazu verdonnern wollte, am Sonntag die Fenster zu putzen, regte sich sein gewerkschaftliches Bewusstsein. «Sie können mich mal», sagte er, und sie kündigten.
Mit ihren Koffern zogen sie die Landstraße entlang und sangen «Wozu ist die Straße da, zum Marschieren, zum Marschieren in die weite Welt». Zu verlieren hatten sie nichts. Sie waren jung und verliebt. Und zwischen ihnen und den Nazis lag der Kanal.
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3
Am vierundzwanzigsten Juni klopft es früh am Morgen an die Tür des möblierten Zimmers im Londoner Stadtteil Paddington, in dem Irka und Erich vor einigen Monaten ihr Domizil aufgeschlagen haben.
«Es ist so weit», flüstert Irka, augenblicklich hellwach, und klammert sich an ihren Mann.
Erich entwindet sich aus ihrer Umarmung, küsst sie auf die Stirn und geht öffnen.
Zwei Polizisten seien gekommen, meldet die Hauswirtin Mrs. Needham, und würden nach ihm verlangen. Sie trägt einen rosa Morgenmantel und hat Lockenwickler im Haar. So hat er sie noch nie gesehen.
«Sie kommen mich holen», sagt Erich mit belegter Stimme.
«Wir haben die Anweisung, Sie zur Internierung mitzunehmen», leiert einer der beiden hochgewachsenen Männer, deren hohe, schwarze Polizeihelme sie noch größer erscheinen lassen, wie auswendig gelernt herunter. «Bitte packen Sie Waschzeug, Kleidung und Unterwäsche zum Wechseln sowie andere unverzichtbare Dinge ein. Wir geben Ihnen eine halbe Stunde.»
Erich fühlt sich wie Kafkas Josef K., dem die beiden Wächter seine Verhaftung mitteilen, ohne ihn davon in Kenntnis zu setzen, was ihm vorgeworfen wird. Anders als Josef K. lehnt sich Erich jedoch nicht auf, denn er ist auf diesen Augenblick seit Wochen vorbereitet.
Für den Abschied bleibt wenig Zeit, die Polizisten warten draußen vor der Tür. Aber sie sind höflich und entschuldigen sich sogar für die frühe Morgenstunde, sie hätten eben ihre Anweisungen. «Es ist nur vorübergehend», versichern sie. «Sie werden bald zurück sein.»
Mit verweinten Augen beugt sich Irka aus dem Fenster und sieht Erich nach. Bevor er in das wartende Auto steigt, dreht er sich noch einmal um und setzt sein jungenhaftes Grinsen auf, das sie so sehr liebt. Er reckt den Daumen nach oben, wie er es sich von den englischen Soldaten abgeschaut hat.
«Rauch nicht zu viel», ruft ihm Irka hinterher und zündet
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