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Königskinder (German Edition)

Königskinder (German Edition)

Titel: Königskinder (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Erica Fischer
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wurde. Draußen herrscht vollkommene Stille. Nicht einmal ein Hund bellt, das Städtchen ist weit. Vor dem Einschlafen ruft sich Erich das Bild von Irka in Erinnerung, wie er sie am Strand von Varna fotografiert hat, in weißen Shorts, mit einer roten Korallenkette um den Hals. Ihre braun gebrannten Beine glänzen, ihr Lächeln ist glücklich.
    Erich gleitet hinüber in den Schlaf. Im Traum hört er ein Rascheln. Hinter dem Stacheldraht bewegt sich etwas. Ein menschengroßes Känguru stützt sich auf seinen kräftigen Schwanz und hält die Vorderbeine vor die Brust gekreuzt. Aus dem Beutel am Bauch lugt ein Junges, winzig und noch ohne Fell. Die Kängurumutter verharrt reglos und schaut Erich ernst an, als wolle sie ihm etwas sagen. Dann macht sie kehrt und springt in großen Sätzen davon, hinaus in die finstere Nacht. Erich würde ihr gern folgen, über die riesige Scheibe hinter dem Stacheldraht, rennen, was das Zeug hält, und an der Kante hinunterfallen. Aufschlagen im Flammeninferno von London. Ohrenbetäubender Lärm. Dann Irka in den Armen. Hast du Angst, kleine Irka? Hier, ich hab dir einen flauschigen Koala-Bären mitgebracht, ein Trost für die verlorene Stille. Ich komme von einem Ort, an dem es geradezu unheimlich still ist. Stehst du jetzt auf, kleine Irka? Hast du noch ein Dach über dem Kopf? Sind die Fensterscheiben ganz geblieben in der vergangenen Nacht? Wie ist es möglich, ohrenbetäubenden Lärm und ohrenbetäubende Stille gleichzeitig zu hören? Komm, kleine Irka, das Känguru hat noch Platz in seinem Beutel. Es trägt dich in die Stille. Schnell, schlüpf hinein.

    Am nächsten Morgen wird das Gepäck im Areal zwischen den beiden Compounds 7 und 8 abgeladen. Alles eilt herbei, endlich wieder etwas Eigenes besitzen! Jeder hofft, ausgerechnet sein Koffer wäre vom Vandalismus der «Pommies», wie die Australier die Briten abschätzig nennen, verschont geblieben. Die Enttäuschung ist groß. Kaum ein Koffer ist intakt. Schlösser und Etiketten sind abgerissen, Deckel aufgeschlitzt, Kleidungsstücke hängen verdreckt heraus. In vielen Koffern ist überhaupt nichts mehr drin, in anderen finden sich Kleidungsstücke, die dem Besitzer nicht gehören. Stinkende vergammelte Lebensmittel, in Huyton für die Reise gekauft. Vielleicht zehn Prozent der Gepäckstücke sind ungeöffnet und sogar verschlossen geblieben.
    «Na, der hat Nerven!», ruft einer, und alle schauen in eine Richtung, in das mittlerweile vom Gepäck geräumte Areal zwischen den beiden Camps. Was sie sehen, verschlägt ihnen erst einmal vor Staunen den Atem, dann bricht ein vielstimmiges Wutgeheul aus. «Schert euch zum Teufel!», «Fuck off!», «Diebsgesindel!», tönt es aus beiden Compounds.
    Oberstleutnant Scott, Oberleutnant O’Neill und der Löwenjäger sind gekommen, um sich anzusehen, wie ihre Menschenfracht in ihrem neuen Gefängnis untergebracht ist. Was denken sie sich dabei? Meinen sie tatsächlich, die Internierten würden sich auch noch artig von ihnen verabschieden? Ihnen danken für die sichere Ablieferung in Australien? Haben sie überhaupt keinen Anstand?
    Der angesichts des geballten Zorns erschrockene Sergeant Major muss zum Schutz der drei Engländer die Wachmannschaft des für das Lager zuständigen 16. Garnisonbataillon der australischen Armee aufziehen lassen. Die ursprüngliche Absicht von Scott und O’Neill, als Krönung ihres Auftrags durch die beiden Lager zu stolzieren, wird als undurchführbar erkannt. Die Gesichter zu Masken erstarrt, ziehen sie ab. Hinter Gittern zurück bleiben erleichterte Internierte, denen es gutgetan hat, ihrer Wut endlich freien Lauf zu lassen und Sealdwell zu verstehen zu geben, dass er keine Nummern, sondern Menschen zu beaufsichtigen hat, die sich nicht alles gefallen lassen – ein würdiger Abschluss einer demütigenden Phase ihres Lebens. Die Männer werden beauftragt, eine Liste der beschädigten Gepäckstücke anzufertigen, eine mühselige Arbeit, für die eine eigene Arbeitsgruppe gebildet wird.
    Sealdwell braucht verlässliche Ansprechpartner. Jede Hütte soll ihre Sprecher wählen, sogenannte Hüttenväter und deren Stellvertreter, die der Sergeant Major zur Rechenschaft ziehen kann, wenn es etwas zu beanstanden gibt, und die ihm die Wünsche ihrer Hüttenbelegschaft unterbreiten. Die sechsunddreißig Hüttenväter samt Stellvertreter bilden das Lagerparlament, das aus seiner Mitte den Lageraufseher, den Camp Supervisor , wählt, der die Wachmannschaft bei der

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