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Königskinder (German Edition)

Königskinder (German Edition)

Titel: Königskinder (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Erica Fischer
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Entleeren der Latrinen. Doch das allein hält geistig nicht rege. Bald begreifen die meisten, dass sie entweder arbeiten oder studieren müssen, um bei Verstand zu bleiben. Mit Fußbällen, Büchern und Schreibmaterial, was Sealdwell bereitwillig besorgt, fängt es an, mit der Zeit jedoch wachsen die Bedürfnisse der Internierten in den Himmel.
    Im Zentrum der Aufmerksamkeit vieler steht nach wie vor die Küche. Die ins Lager gelieferten Lebensmittel entsprechen den Rationen für australische Armeeangehörige – von allem nur das Beste. Was aus den reichlich vorhandenen Vorräten entsteht, hängt von den Fertigkeiten der Köche ab, und die können sich sehen lassen. Dank des abwechslungsreichen Menüs genießt der Küchenleiter hohes Ansehen. Täglich gibt es reichlich Fleisch – pro Kopf und Tag ein Pfund – und Gemüse, daneben stets Brot, Butter, Käse und zum Frühstück Porridge, Marmelade, Honig. Zu den Köchen gesellen sich bald die Konditoren, allesamt Wiener.
    In der Küche besteht großer Bedarf an Hilfsdiensten, für die sich Jugendliche melden, nach der Dunera -Erfahrung immer noch mit dem Hintergedanken, in der Küche die besten Leckerbissen abzubekommen. Teewasser, Kartoffeln, Gulasch, Eintöpfe und Gemüse werden vor den Kochhäusern in rundbäuchigen Feldkesseln zubereitet. Das Feuer nährt sich an steinhartem Eukalyptusholz, das kräftige junge Männer zu ofengerechten Scheiten spalten. Die Kessel, die wie Gulaschkanonen ohne Räder aussehen, haben vorne ein Feuerloch, an dem sich viele zum Frühstück den Toast rösten. Die Öffnung muss gefüttert, gestochert und von Asche befreit werden. Aus dem hinteren Teil des Kessels ragt ein schwarzes Abzugsrohr in den Himmel.
    Eine unbeliebte Aufgabe ist das Reinigen der Latrinen, doch wer sich dazu bereit erklärt, genießt das Privileg, abends mit den vollen Kübeln im Lastwagen das Lager verlassen zu dürfen.
    Auch die Schlosser, Tischler, Ärzte, Krankenpfleger, Zahnärzte, Gymnasiallehrer, Universitätsprofessoren, Schauspieler, Komponisten, Schuster, Kaufleute, Uhrmacher, Rechtsanwälte, Banker, Sänger, Musiker, Maler, Regisseure und Bühnenbildner suchen sich Schritt für Schritt eine ihnen angemessene Tätigkeit. Für Konflikte, die unweigerlich unter diesen gedrängten Lebensverhältnissen aufflammen, wird eine eigene Gerichtsbarkeit geschaffen, die auch Richter mit Arbeit versorgt.
    Schon bald lässt der schlitzohrige Küchenleiter über das eigentliche Kochen hinausgehende Fähigkeiten erkennen. Er beauftragt seine Köche, Butter, Zucker, Mehl, Obstkonserven und Kaffee abzuzweigen, und eröffnet ein privat betriebenes Kaffeehaus, in dem man nachmittags gegen Bezahlung einen kleinen Braunen und eine Obsttorte zu sich nehmen kann.
    Und hier beginnt sich die soziale Ungleichheit bemerkbar zu machen. Jene, die im Ausland über Geld verfügen, lassen es sich nach Hay auf die Commonwealth Savings Bank of Australia überweisen, bei der sie ein Konto eröffnen. Über den Zahlmeister des Camps können sie Geld abheben, das ihnen in der Camp-Währung ausgehändigt wird. Australisches Geld ist im Lager nicht zugelassen. Schlichte Kartoffeldruck-Geldscheine werden angefertigt, für deren Ausgabe eine eigene Arbeitsgruppe gebildet wird, das Money Issuing Department. Das Geld ist nummeriert und meistens mit den Namen von zwei Mitgliedern des Departments gestempelt. Da Papier Mangelware ist, wird in der ersten Zeit Toilettenpapier in unterschiedlichen Farben bedruckt. Für zehn Shilling kann man ein Heftchen erstehen, in dem sich verschiedene perforierte Währungseinheiten befinden: Twopence, drei Pence, Sixpence, ein Shilling, zwei Shilling, fünf Shilling.
    Auch Erich schätzt sich glücklich, ab und zu einige Pfund von Irka und ihrer Schwester Ludka zu empfangen. Wer Geld hat, kann neben dem kleinen Braunen in der von der Lagerleitung eingerichteten canteen , dem Lagerladen, auch andere Sachen erstehen – Zigaretten, Schokolade, Obst, Rasierklingen, Postkarten, Briefmarken, eine Zahnbürste. Wer keines hat, ist auf Tauschhandel angewiesen oder muss sich selbst vermarkten, für andere Wäsche waschen, Haare schneiden, Schuhe putzen; ein System, das sich schon in Huyton bewährt hat.
    Zehntausend Pfund Sterling, die sich ein Besitzer von Kupferminen, angeblich ein Millionär, auf die Commonwealth Savings Bank of Australia überweisen lässt, bilden das Startkapital für die Geldwirtschaft in Hay, organisiert von einem ehemaligen Direktor der Bayerischen

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