Königskinder (German Edition)
Sozialdemokraten. Dort habe auch ich die Straffung der Schutzbundstrukturen mitgetragen. Mir war klar, dass ein Generalstreik und ein Bürgerkrieg eine zentrale Lenkung erfordern. Aber dann hat sich genau diese Zentralisierung als fatal erwiesen. Als die Heimwehr im Februar vierunddreißig in Linz auf die Arbeiter geschossen hat, haben wir alle auf das Signal der Parteiführung gewartet. So war’s vereinbart: Wenn auf Arbeiter geschossen wird, ist das der Startschuss für den Bürgerkrieg. Aber nur der Schutzbundobmann und ein paar andere Genossen haben gewusst, wo sich die Waffenlager befinden. Da die meisten Bezirks- und Kreisführer zwei Tage zuvor verhaftet wurden, hatte kaum einer eine Ahnung, wie man an die Waffen kommt. Die Regierung Dollfuß war nicht blöd, die haben genau gewusst, wie sie uns lahmlegen können. Und auch, wo Waffen vorhanden waren, hat uns der Befehl, uns nur gegen Angriffe zu verteidigen und nicht in die Offensive zu gehen, geschwächt. So ist die Initiative dem Gegner überlassen worden. Es gab weder einen Generalplan für den Fall einer bewaffneten Auseinandersetzung noch eine zentrale Kommandostelle. Entweder gab es die nicht, oder die entsprechenden Genossen waren nicht mehr handlungsfähig. Auch der Generalstreik am zwölften Februar wurde nur lückenhaft durchgeführt. Aber das weißt du ja selbst: Man konnte schon am Nachmittag mit der Straßenbahn in die Innenstadt fahren. Das ist doch kein Generalstreik! Telefon und Fernschreiber waren nie unterbrochen. Na ja, und das Ende mit Schrecken war dann entsprechend. Die Rote Fahne der Kommunisten hat schon am zehnten Februar Kritik am Kapitulationskurs der Sozialdemokraten geübt. Das ist ja schon eine Weile so gegangen. Die Regierung Dollfuß hat systematisch unsere Waffenlager geplündert, ohne dass unsere Parteiführung reagiert hätte. Dieses stetige Zurückweichen hat uns demoralisiert. Wir haben ein Drittel unserer Schutzbund-Truppe verloren, die in den besten Zeiten achtzigtausend Mann umfasste. Wer hat uns verraten? Sozialdemokraten! Irka und ich sind dann aus Protest in die verbotene KPÖ eingetreten, wie viele unserer Genossen. Wir Überläufer haben die Kommunistische Partei erst stark gemacht.»
«Und was hat dich dann später umgestimmt?»
« I give you three guesses: der Hitler-Stalin-Pakt natürlich. Da war ich Gott sei Dank schon in England. Den Pakt selbst hätte ich ja noch verstanden – als Wunsch der Sowjetunion nach einer Atempause vor einem möglichen deutschen Angriff und um eine antisowjetische Allianz der Westmächte mit Deutschland zu verhindern. Aber als die Sowjets dann überall eingefallen sind und sich in trauter Übereinstimmung mit Nazi-Deutschland die Hälfte Polens gekrallt haben, da war der Ofen aus. Und dann noch die unerträgliche prodeutsche Propaganda, mit der die Sowjetunion die deutschen Großmachtinteressen verteidigt und die Westalliierten zu imperialistischen Aggressoren erklärt – aberwitzig. Mir tun die Kommunisten leid, die in der Partei bleiben, weil sie weiter gegen den Kapitalismus und gegen die Nazis kämpfen wollen und nolens volens die bedingungslose Verbundenheit der Parteileitung mit der Sowjetunion mittragen müssen. Ohne mich! Und ich will auch mit den Genossen hier in Hay nicht darüber diskutieren. Da habe ich eine Beißhemmung, schließlich sind das anständige Leute. Aber was die Partei als richtig ausgibt, das gilt eben.»
«Schrecklich. Diese Parteitreue ist ja auch etwas, das einen Keil zwischen Else und mich treibt. Einerseits bewundere ich ihren Mut, ihren einmal eingeschlagenen Weg entschlossen weiterzugehen, andererseits darf sie sich eine wirkliche Freiheit des Geistes nicht erlauben. Sie muss Scheuklappen tragen. Freiwillig.»
«Irka neigt auch zu einer gewissen Unbeugsamkeit, aber sie ist generell weniger politisch. Sie reagiert sehr emotional auf Ungerechtigkeit, und der Einfall der Sowjetunion in Ostpolen war natürlich für sie ein harter Schlag. Ich würde gern mehr über den Syndikalismus erfahren, der ist mir sympathisch. Vielleicht finde ich hier einen, der Bescheid weiß.»
«Bestimmt. Hier findest du alles. Übrigens, fällt mir grad ein: Ich empfehle dir Arthur Koestlers Roman ‹Darkness at Noon› . Für Koestler war schon 1938 klar, dass er aus der KP austreten muss, nach den Moskauer Schauprozessen. Dennoch hat er die Sowjetunion bis zum Hitler-Stalin-Pakt als verlässlichen Verbündeten im Kampf gegen die Faschisten gesehen – wie wir alle.
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