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Königskinder

Königskinder

Titel: Königskinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gernot Gricksch
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»Ich bringe Sie nach Hause.«
    Die Frau lachte kurz bitter auf.
    Und dann begann sie plötzlich zu weinen!
    Sie weinte, wie es regnete: Mit großer Wucht und ohne absehbares Ende. Während sie schluchzte und wimmerte und sich ihre Tränen mit dem Regen in ihrem Gesicht vermischten, führte ich sie mit festem Griff zum Taxi. Den Babykorb trug ich in der anderen Hand.
    »Wohin?«, fragte ich, nachdem ich sie auf den Rücksitz bugsiert und den Babykorb neben ihr angeschnallt hatte.
    Sie weinte bloß.
    Fast zehn Minuten dauerte es, bis ihre Tränen versiegten und ich erfuhr, dass es kein Zuhause gab, zu dem ich sie bringen konnte. Sie war aus ihrer Wohnung gekündigt worden, weil sie die Miete nicht bezahlen konnte, und die Freundin, bei der sie die letzten Wochen untergeschlüpft war, hatte sie rausgeschmissen.
    »Sie hat das Geschrei nicht mehr ertragen«, flüsterte die Frau und zeigte auf den Babykorb.
    »Die hat sie einfach so mit dem Kind auf die Straße gesetzt?«, fragte ich fassungslos.
    Die Frau zuckte mit den Schultern. Das war wohl nichts Besonderes in ihrer Welt.
    »Haben Sie keine Verwandten? Oder andere Freunde? Ich fahre sie gerne, ganz egal, wohin sie müssen«, sagte ich. Für einen kurzen Moment schoss mir der Gedanke durch den Kopf: Was, wenn sie jetzt nach München will?
    Nun, dann würde ich morgen früh wohl eine Weißwurst essen.
    Die Frau schüttelte nur den Kopf und schaute unglücklich zu Boden.
    Ich überlegte kurz, dann fuhr ich los. Die Frau zuckte erschrocken zusammen.
    »Wo fahren Sie hin?«, fragte sie.
    »In ein Hotel.«
    »Ich werde dich nicht ficken«, sagte sie. »So eine bin ich nicht.« Sie sagte es ganz ruhig. Ich musterte sie im Rückspiegel. Sie schien keine Angst zu haben.
    »Ich bin auch nicht so einer«, sagte ich. »Ich bin aber auch keiner, der eine Frau und ein Baby im strömenden Regen herumsitzen lässt.«
    »Ein Scheißheiliger, oder was?« Ganz plötzlich wurde ihre Stimme aggressiv. Sie traute mir nicht. Sie konnte sich nicht vorstellen, dass jemand einfach nur nett war.
    »Es ist kein tolles Hotel«, sagte ich. »Aber es wird schon reichen. Und morgen sehen wir, wo wir dich langfristig unterbringen können.«
    Sie schaute das Baby an.
    »Ich heiße übrigens Mark.«
    Sie sagte nichts.
     
    Ich fuhr die Frau mit ihrem Baby in ein Hotel in der City Nord, wo ein Bürogebäude neben dem anderen stand. Es war eines dieser Budget-Hotels, in dem vorwiegend Vertreter und Angestellte der unteren Gehaltsklassen einquartiert wurden. Ich zahlte bar, und es entging mir nicht, dass der junge Mann an der Rezeption mir mit einem schmierigen Blick und einem angedeuteten Grinsen den Schlüssel überreichte, bevor ich mit der jungen Frau und ihrem Babykorb in den Fahrstuhl stieg.
    Sie war aufrichtig erstaunt, als ich den Korb auf dem Bett abstellte und dann keinerlei Anstalten machte, mich ihr zu nähern und sie zu befingern.
    »Ich komme morgen vorbei. Dann schauen wir weiter, okay? Schlaf dich aus. Brauchst du …?« Ich zog mein Portemonnaie aus der Tasche.
    Sie zögerte. »Nein, danke.«
    Ich legte ihr trotzdem zwanzig Euro auf das Bett neben den Babykorb. Dann ging ich zur Tür.
    »Jennifer«, sagte sie leise. »Ich heiße Jennifer.«
    »Bis morgen, Jennifer«, sagte ich und zog die Tür hinter mir zu.
    Ja, ich gebe es zu: Ich fand mich total großartig. Ich war ganz kurz vor heilig. Als ich im Fahrstuhl zurück in die Lobby fuhr und dann an dem erstaunten Mann an der Rezeption vorbeischritt, der mich frühestens in einer Stunde wieder zu sehen erwartet hatte, dachte ich: Gut gemacht, Mark. Du bist ein guter Mensch.
    Was hatte der Rezeptionist sich bloß gedacht? Zugegeben, Jennifer war hübsch. Doch Sex mit einer offensichtlich traurigen Frau, noch dazu mit einem schlafenden Säugling im selben Raum? Nein, das würde niemand ernsthaft in Erwägung ziehen. Jedenfalls niemand, der auch nur eine entfernte Ähnlichkeit mit mir hat. Ich habe es ja nicht einmal über mich gebracht, eine der Prostituierten an der Reeperbahn anzusprechen.
    Ich stieg in mein Taxi und fuhr nach Hause.
    Ich war munter und überdreht, als ich dort ankam. Ich musste immer an Jennifer, an ihr schlafendes Baby und an meine Heldentat denken. Ich fühlte mich so gut und konnte mich jetzt unmöglich ins Bett legen. Also ging ich hinunter in den Keller und arbeitete an meinem Projekt.
    Ich hatte in meinem Keller einen kompletten Raum freigeräumt, in dem ich aus Holz den maßstabsgerechten Kern einer indischen

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