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Königskinder

Königskinder

Titel: Königskinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gernot Gricksch
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anderer Anblick als ich. Sie wirkte unglaublich fein und zerbrechlich. Sie trug eines dieser bauchfreien T-Shirts, die damals angesagt waren, und eine Jeans, deren Bund sich knapp oberhalb des Schambeins befand. Sie hatte einen makellosen flachen Bauch. Ich hätte auch gern so eine Jeans und so ein T-Shirt angezogen, aber das kleine, knuffige Röllchen rund um meine Hüfte hielt mich davon ab. Die Frau hatte zu alledem auch noch wunderschöne Augen und einen dermaßen beneidenswerten, ebenmäßigen Porzellanteint, dass ich am liebsten eines der elektrischen Tranchiermesser aus Gang 4 gegriffen hätte, um ihr diese Alabasterhaut abzuziehen und selbst überzustülpen. Ja, das ist so: Wir Weiber können unsagbar neidisch auf die Schönheit anderer Frauen sein. Und, ja: Die Tätigkeit als Verkäuferin fördert Gewaltphantasien.
    »Ja, bitte?«, lächelte ich ihr stattdessen freundlich entgegen und bemerkte erst dann den etwa sechsjährigen Jungen, der sich schüchtern hinter ihr versteckte. Das durfte doch nicht wahr sein! Sie hatte bereits ein Kind geboren und trotzdem einen straffen Bauch wie ein Model? Das war so gemein! Es war natürlich ein ebenfalls wunderschönes Kind – im Gegensatz zu ihr aber dunkel. Haare, Haut, Augen, alles irgendwie südländisch.
    »Wir interessieren uns für diese Kaffeemaschine dort. Die, wo man die Kapseln reinsteckt«, sagte die Frau.
    Es war die Zeit, als die ersten Coffee-Maker zu einem halbwegs erschwinglichen Preis auf den Markt kamen. Die Frau zeigte allerdings auf das edelste und teuerste Exemplar.
    »Ja, das ist wirklich ein Prachtgerät«, bestätigte ich. »Mit Milchaufschäumer in verschiedenen Druckstärken. Und im Gegensatz zu einigen anderen Geräten auch erfreulich einfach zu reinigen.«
    Die Frau sah die Kaffeemaschine skeptisch an.
    »Ich finde ja, es geht auch eine Nummer kleiner. Aber mein Mann sagt, man würde den Unterschied nicht nur sehen, sondern auch schmecken«, sagte sie. »Stimmt das? Schatz, guck doch bitte auch mal!«
    Und dann fiel mir die Kinnlade herunter.
    Neben uns und der Kaffeemaschine tauchte ein Mann auf – groß, toll gebaut und mit zwei glühenden Augen, die ich nie vergessen habe.
    Es war Hassan, meine große Schullandheim-Liebe.
    »Stimmt das?«, fragte die Frau noch einmal und sah mich leicht besorgt an. Ich stand nämlich bloß blöd da, den Mund dümmlich geöffnet ihren Mann anstarrend.
    »Was? Äh … ja«, sagte ich. »Durch … äh, durch die verschiedenen Druckstufen kann man tatsächlich … Doch, ja, das schmeckt man. Also speziell bei Latte …«
    Ich starrte Hassan an. Er lächelte mir kurz freundlich und nichtssagend zu. Er hatte keine Ahnung, wer ich war.
    »Aber siebenhundert Euro?«, seufzte die Frau und schaute den Mann, den ich noch als Teenager kannte, fragend an.
    »Hallo«, sagte ich nun plötzlich und streckte Hassan völlig unvermutet die Hand hin. »Ich heiße Simone.« Wirklich wahr! Ich hatte einen völligen Blackout.
    Die beiden glotzten mich an, als wäre ich nicht ganz dicht.
    »Äh«, sagte Hassan, zögerte kurz und schüttelte mir dann tatsächlich die Hand. »Ich bin Hassan.«
    »Ja«, sagte ich. Und verkniff mir ein Ich weiß.
    »Ich bin Tom-Volkan«, sagte nun der Junge und hielt mir ebenfalls die Hand hin. Ich schüttelte sie. Gott, war das peinlich! Was hatte ich da angestellt?
    Plötzlich lachte die Frau auf, hell und freundlich und aufrichtig amüsiert. »Und ich heiße Sophie«, sagte sie, »und ich freue mich sehr, dass ich heute hier eine Kaffeemaschine kaufen darf. Machen Sie uns die Rechnung fertig?«
    »Ja, klar«, stammelte ich und ging zum Computer, um die Daten einzugeben. Ich hörte, wie Hassan und Sophie hinter meinem Rücken leise tuschelten. Wahrscheinlich lästerten sie über mich. Und wer sollte es ihnen verdenken?
    Ich schämte mich.
    Als ich Sophie die Rechnung in die Hand drückte und Hassan den Karton zeigte, den er aus dem Regal ziehen durfte, hatte ich das Gefühl, meine Schmach zumindest ein wenig lindern zu müssen. Ich wollte nicht als einfach nur irre dastehen. Oder als eine, die fremde schöne Männer im Beisein ihrer Ehefrau und Kinder anbaggerte. Ich wollte aber auch nicht brutal und deutlich und uncool sagen, wer ich bin, und Hassan daran erinnern, was ich damals mit ihm in den Dünen gemacht hatte. Ich wollte nur irgendwie andeuten, dass es einen logischen Grund für mein eigenwilliges Verhalten gab. Dass es etwas gab, was Hassan und mich verband. Also flüsterte ich

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