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Königskinder

Königskinder

Titel: Königskinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gernot Gricksch
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Gitte die Witwe eines Anwalts und Finanzberaters, der ihr bei seinem Tod eine stattliche Summe hinterlassen hatte. Niemand erzählte mir, wie viel Geld genau sie auf dem Konto hatte, aber nach der Größe der Finca zu urteilen, die sich die beiden auf der spanischen Insel kauften, dürfte es weit mehr als eine Million gewesen sein.
    Und damit nicht genug: Mein Vater schenkte mir sein Haus! Ich nahm es gerne an. Zum einen, weil ich nach Hamburg zurückwollte und weil die Vorstellung, nie wieder Miete zahlen zu müssen, eine sehr erfreuliche war. Zum anderen, weil es mir das Herz zerrissen hätte zu sehen, wie fremde Leute in das Haus einzogen, in dem ich groß geworden war. In dem meine Mutter gestorben war.
    Das Haus war für mich allein riesig. Mein Leben kam mir plötzlich noch kleiner vor als bisher. Ich hatte vor Jahren mit einem radikalen Schritt die Karrierewelt verlassen und etwas Neues gesucht. Ich hatte es aber nicht gefunden. Das Herumtreiben hatte auch nichts gebracht. Ich war nirgendwo an ein Ufer getrieben. Ich trieb einfach nur. Ich war Treibgut. Ich wusste, dass etwas geschehen musste. Ich war dreiunddreißig Jahre alt. Ich konnte nicht weiter so dahindümpeln. Ich wollte aber auch nicht wieder Anzüge tragen und Geld anhäufen, das ich anderen Menschen wegnahm.
    Während ich überlegte, wo ich hinwollte mit mir, fuhr ich weiterhin Taxi. Weil mir nichts anderes einfiel. Und das war gut so. Denn eines Nachts hatte ich auf einer Tour einen Fahrgast, der mir die Antwort auf meine existenzielle Frage gab. Der mir den Weg zeigte. Der mich aufweckte.
    Es war eine Frau.
    Eine ganz besondere Frau.
    *
    Als Verkäuferin im Media Markt fühlte ich mich ein bisschen wie ein Zoo-Wärter. Man ahnt gar nicht, was da im Laufe eines Tages alles für Kreaturen an einem vorbeiziehen! Dabei hatte ich noch Glück in meiner Haushaltsgeräte-Abteilung; kaum jemand kauft da gerne ein. Bei mir schaffte man sich Sachen an, die eben angeschafft werden mussten. Nichts, worüber man sich freut. Und deshalb verweilten die Einkaufstiere in meinen Gängen auch nicht so lange wie in anderen Teilen des Ladens. Speziell die Männer, die einem stundenlang über MP3-Player, Navigationsgeräte und Stereoanlagen ein Ohr abkauen können, hatten es meist erfreulich eilig, den Rückzug aus meinem Reich der Küchen- und Hygieneutensilien anzutreten.
    Die Kollegen in den Abteilungen Mobiltelefone, Computer und Kabel litten am meisten. Es gab Leute, die nahezu täglich bei den Handys herumhingen und die Verkäufer erbarmungslos mit Dummgeschwätz, sinnlosen Fragen und schwer nachvollziehbaren Beschwerden an den Rand des Wahnsinns trieben. Ich habe keine Ahnung, ob permanente Handystrahlung tatsächlich krebserregend ist – aber doof macht sie auf jeden Fall.
    Die Kollegen in der PC-Abteilung, die passend zu ihrem oft bleichen und unförmigen Kundenkreis im Keller des Gebäudes untergebracht war, mussten sich dagegen stundenlang digitale Leidensgeschichten anhören, düstere Dramen über Virenbefall, chronische Langsamkeit und brutale Abstürze. Und das war wohlgemerkt, bevor Windows Vista auf den Markt kam und die Katastrophengeschichten noch vervielfachte.
    Die Kabel-Kollegen schließlich mussten einer nicht enden wollenden Flut von Leuten trotzen, die Sachen sagten wie: »Ich brauche so ein Kabel für meinen Videorekorder. So mit Nupsis auf der einen Seite. Drei oder fünf Nupsis, glaube ich. Und für eine runde Buchse. Also, eher rundlich. Das Kabel muss jedenfalls weiß sein. Also: Ein weißes Kabel mit so einem Ding vorne, einigermaßen rund, und Nupsis und hinten dann mit so einem eckigen Stecker, wie ich den auch bei meiner Stereoanlage habe. Nur ein bisschen anders.«
    Ich rechnete stündlich damit, dass einer der Kollegen plötzlich hysterisch aufschreien, sich ein Kabel – ganz gleich ob mit oder ohne Nupsis – greifen und einen Kunden damit strangulieren würde.
    Bei mir wurde auch viel genörgelt und immer wieder nachgefragt, obwohl ich die Antwort längst gegeben hatte, über Preise gejammert und zu feilschen versucht – aber alles in einem zumindest noch halbwegs zivilisierten Rahmen. Manchmal kam es dennoch zu denkwürdigen Begegnungen. Und einmal zu einer wirklich peinlichen.

    Eines Nachmittags, als ich gerade Kartons in ein Regal stapelte, hörte ich hinter mir eine weibliche Stimme.
    »Entschuldigung«, sagte sie und ich drehte mich um.
    Vor mir stand eine Frau. Sie war etwa in meinem Alter – und trotzdem ein völlig

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