Königskinder
Klamotten-Kombinationen ausprobiere? Machen Männer das wirklich so: Einfach nur die obersten Sachen vom Stapel nehmen und ohne weiteres Nachdenken anziehen? Glaube ich nicht. Na ja: Vielleicht einige Männer. Vielleicht Typen wie Newton31.
Ich musste damit rechnen, dass dieser Mensch mit einer braunen Cordhose auftauchen würde. Und mit einem zu engen Pullunder, den ihm seine Mutter ausgesucht hat. Vor zwanzig Jahren. Warum habe ich nicht darauf bestanden, dass er mir ein Foto von sich schicken musste?
Weil ich es so irgendwie spannend fand.
Eigentlich bin ich nicht übermäßig eitel, aber dass ich jetzt unbedingt so wirken musste, als ob ich es definitiv nicht wäre, erforderte ein großes Maß an Planung und Ausprobiererei. Und eine gewisse Eitelkeit. Und dann fragte ich mich: Warum machte ich mich eigentlich verrückt? Der Typ war laut Couplebank mein totaler Alptraum. Warum sollte ich dem überhaupt gefallen wollen? Warum konnte ich das nicht einfach nur als Witz betrachten?
Ich entschied mich schließlich für einen langen, weinroten Rock aus meinem eigenen Asienklamotten-Sortiment und ein schlichtes schwarzes T-Shirt. Meine Haare steckte ich hoch, damit Newton31 meine Ohrringe sehen konnte. Obwohl die auch nicht zu übersehen gewesen wären, wenn ich Tina Turners Frisur hätte: Sie waren wirklich riesig, aus goldfarbenem Metall und sahen aus wie eine Mischung aus hinduistischem Tannenbaumschmuck (wenn die Hindi denn Tannenbäume hätten) und diesen Mobiles, die man über Babybettchen hängt. Wer keine starke Halsmuskulatur hätte, würde wegen dieser Dinger mit dem Kopf vornüber auf die Tischplatte knallen, so schwer waren sie. Wenn ich ging, machten sie klingelnde Geräusche. Na ja, klingeln ist untertrieben: Es klang, als würden Glocken läuten. Früher wäre ich mit dieser Begleitmusik aufgefallen, aber inzwischen klingeln überall so viele Handys, dass es keiner bemerken würde.
Ich war aufgeregt, mein lieber, unbekannter Adressat. Wider aller Logik. Newton31 machte mich nervös. Irgendetwas an unserem eigentlich nichtssagenden Couplebank -Nachrichtenaustausch hatte mich ganz hibbelig gemacht.
Ich verstand es nicht, aber es war so.
*
Ich hatte ziemlich lange überlegt, was ich anziehen sollte. Das war extrem ungewöhnlich für mich und sogar etwas peinlich, schließlich hatte ich in meinem Profil »Eitelkeit« als eine von drei Eigenschaften angegeben, die ich unattraktiv finde. Und nun hatte ich zu Hause sechsmal die Hosen gewechselt und mich voller Eitelkeit vor dem Spiegel hin und her gedreht, um zu schauen, wie die jeweiligen Jeans am Arsch saßen. Frauen stehen doch angeblich auf Ärsche.
Ich hatte fast eine halbe Stunde gebraucht, bis ich mich endlich für ein Beinkleid und ein dazugehöriges T-Shirt entscheiden konnte. Das dürfte diese Saraswati nicht erfahren, denn eins der drei Dinge, die sie an Menschen am meisten mag, war Spontaneität . (Nummer 2 und 3 waren Lautes, ungebremstes Lachen und Grübchen . Damit konnte ich auch nicht dienen.)
Doch all diese Sorgen und Bedenken, das irrationale Bedürfnis, es dieser Frau, die nach empirischen Erkenntnissen für mich denkbar ungeeignet war, recht zu machen, waren ohnehin unnötig gewesen.
Nach einer halben Stunde, die ich vergeblich auf sie wartete, begann ich mich zu fragen, ob sie womöglich nicht kommen würde. Zuerst hatte ich noch gedacht, dass es ein Missverständnis gäbe, da wir ja in unserer etwas chaotischen Couplebank -Kommunikation ständig die Uhrzeit unseres Treffens verändert hatten.
Doch nach über einer Stunde wusste ich, dass sie gekniffen hatte.
Da saß ich also. Allein. Wartend. Vor mir lag das Buch Warum die Reichen reicher werden und Ihr Nachbar so aussieht wie Sie. Ich hatte das populärwissenschaftlichste und teilweise sogar mild humorvolle Buch über Sozialphysik in meinem Regal als Signal ausgewählt. Ich wollte ja nicht als dröger Klugscheißer dastehen. Ich hatte drei Latte macchiato getrunken und jede einzelne Frau, die den Coffeeshop betrat, neugierig gemustert. War die es? Manchmal hoffte ich: »Ja! Bitte!« Manchmal betete ich: »O Gott, bitte nicht …«
Sie war es nie.
Immerhin war die Zeit nicht komplett vergeudet gewesen, denn direkt vor dem Balzac -Coffeeshop stand ein Lastwagen des Tiefbauamtes. Offenbar hatte es einen Rohrbruch gegeben. Drei Bauarbeiter hatten einen Teil des Bürgersteiges aufgestemmt und waren nun damit beschäftigt, ein aus dem Gestein herausragendes Rohr zu flicken. Sie
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