Königskinder
Frau und ich uns aufgrund charakterlicher Attraktivität finden, nicht wegen der körperlichen Anziehung. Die ist flüchtig. Das weiß ich.
Doch jetzt werde ich langsam mürbe. Vierzehn unbefriedigende Dates können das bewirken. Vierzehn Dates, die allesamt okay waren. Ist das nicht das Schlimmste, was man über einen Versuch in Sachen Liebe sagen kann? Dass es okay lief? Man sucht das Nonplusultra und bekommt etwas, was bloß okay ist. Liebe erfordert doch einen Superlativ! Ich werde mit keinem Couplebank -Treffen zufrieden sein, das nicht mindestens großartig, atemberauben d oder wundervoll verläuft. Aber bisher war das alles nur Pillepalle. Es passte immer ganz gut, aber es knisterte nicht.
Knistern? In der Physik kann es knistern, wenn Antipoden aufeinandertreffen …
So langsam dämmerte mir mein Denkfehler: Ich musste gar keine Frau finden, die mit mir konform auf derselben Spur durchs Leben lief! Vielleicht sollte ich vielmehr eine von der Gegenspur zu mir hinüberzerren und dann mit ihr durchbrennen. Fernab aller Spuren. Das wäre nicht okay . Das wäre Leidenschaft!
Also habe ich etwas Tollkühnes getan. Ich habe Kontakt mit der Frau aufgenommen, die ganz am Ende meiner Couplebank -Liste steht. Ich habe dem Schlusslicht gemailt. Ihre Kompatibilität zu mir betrug 3 %. Das System stufte uns als gemeinsame Katastrophe ein. Als völlig hirnrissige Idee. Wie Tom und Jerry. Wie Feuer und Wasser. Wie Erdbeertorte mit Senf. Doch ich dachte: Wer nicht wagt, der nicht gewinnt. Es war ein Experiment. Was hatte ich denn noch zu verlieren?
Es gab noch einen anderen Grund, warum ich mich zu diesem verrückten Schritt entschloss: Der Username meiner Anti-Frau war Saraswati . Der Saraswati ist ein Nebenfluss des Indus, benannt übrigens nach der indischen Göttin der Weisheit. An diesem Fluss lag die altindische Stadt, die ich im Keller nachgebaut habe. Ich hatte mich die letzten zwei Jahre also praktisch schon bei Saraswati niedergelassen. Wenn das kein Omen war?
Also schrieb ich über das Couplebank -eigene Nachrichtensystem:
Hallo, Saraswati!
Couplebank ist der Meinung, dass wir nichts, aber auch gar nichts gemeinsam hätten. Wir stehen ganz am Ende unserer gegenseitigen Listen. Wollen wir nicht mal herausfinden, ob Gegensätze sich tatsächlich anziehen? Ich bin gespannt!
Liebe Grüße!
Newton31
Hallo, Newton31,
Zuerst dachte ich: Der hat ja wohl den Arsch offen! Warum soll ich meine Zeit mit jemandem verschwenden, der das totale Gegenteil von mir ist. Mit nur 3 % Übereinstimmung müsstest du eigentlich ein lebensmüder Neonazi sein, der auf Silikonbrüste steht und gerne Tiere quält. Aber dann dachte ich: He, das ist die erste wirklich originelle Mail, die ich je von einem Couplebank-User bekommen habe. Also: Wann und wo?
Saraswati
Liebe Saraswati,
da ist die Sache doch schon gleich interessant: Wie kann man das Gegenteil von jemandem sein, wenn man selbst gar nicht genau weiß, wer man ist? Ich jedenfalls kenne mich selbst nicht gut genug, um zu wissen, wer mein Gegenteil ist. Ich habe mich in meinem Leben schon viel zu oft verändert, ohne mich wirklich zu verändern.
Samstag, 14 Uhr im Balzac-Coffeshop in den Colonaden?
Hey, Newton31,
ein Philosoph. Wow. Samstag ist okay, aber warum so früh? 16 Uhr! Maile mir bitte ein Foto von dir, damit ich dich erkenne?
Saraswati
Hey!
Wenn ich 16 Uhr vorgeschlagen hätte, hättest du bestimmt 18 oder 14 Uhr gesagt, stimmt’s? Du willst das letzte Wort haben, oder? Da haben wir schon den ersten Gegensatz: Ich nicht. 16 Uhr ist prima für mich ;-)
Ein Foto schicke ich dir nicht. Und du schick mir bitte auch keines. Ich liebe Überraschungen.
Newton31
Wenn du mir kein Foto schickst, dann glaube ich, dass du potthässlich bist. Und jetzt will ich doch um 14 Uhr. Damit ich nicht zickig wirke ;-)
Sagen wir 15 Uhr. Du erkennst mich an einem Buch über Sozialphysik, das vor mir auf dem Tisch liegt. Und an meinem Buckel.
Sozialphysik? O Gott! Das kann ja lustig werden. Ich trage als Erkennungsmerkmal die größten Ohrringe der Welt.
Ich freue mich.
15 Uhr 30. Und ich bin eher skeptisch.
*
Was sollte ich anziehen? Ich hatte mir das Profil von Newton31 angeschaut und dabei gesehen, dass zu den drei Dingen, die er verachtete, Eitelkeit zählte. (Die anderen beiden waren »Keine Ahnung, aber trotzdem eine Meinung haben« und »Geiz«.)
Aber wo beginnt Eitelkeit? Wenn ich länger als fünf Minuten vor dem Spiegel stehe? Wenn ich mehr als drei
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