Königskinder
sind doch noch so jung.« Und wenn Sophie auf Hassan stand, konnte ich definitiv nicht der Richtige für sie gewesen sein. Wieso hatte ich das nicht schon früher gemerkt?
Walter schwieg lange, dann knickte er ein. Das musste man ihm lassen: Er wusste immer, wann es sich zu kämpfen lohnte und wann es klüger war, stattdessen eine Situation neu zu justieren.
»Ich besorge dir eine neue Wohnung«, bot er also an. »Magst du Winterhude?«
Ich sah zu meinem Vater hinüber, der ein Pizzastück in der Hand hielt und über den Turm grübelte, mit dem ich seinen König in zwei Zügen Schach und matt setzen würde.
»Vielen Dank, aber ich glaube, ich wohne erst einmal ein bisschen hier«, sagte ich, und ein ganz feines, fast unmerkliches Lächeln huschte über das Gesicht meines Vaters, der aber weiterhin aufs Schachbrett starrte und so tat, als hätte er nichts gehört.
»Ich habe Sophie gesagt, dass sie verrückt ist«, wiederholte sich Walter.
»Aber nicht nach mir«, beendete ich das Gespräch.
Walter hielt eisern an mir fest. Er wollte mich nicht als Freund verlieren, vor allem aber nicht als Angestellten, und ich wusste nun sicher, dass es nicht meine Beziehung zu Sophie war, die mir die regelmäßigen Beförderungen in seiner Firma bescherten, sondern tatsächlich mein Talent und mein Arbeitseifer.
Ich dagegen stand vor einer weit schwierigeren Entscheidung als Walter: Was sollte ich mit Hassan tun? Er war mein bester Freund. Oder sollte ich ein »gewesen« dahintersetzen? Mein einziger Freund. Und wer weiß, was für ein unfassbar öder Knochen ich geworden wäre, wenn er mich damals nicht in der Bibliothek der Mößbauer-Schule angesprochen hätte. Nicht, dass ich, seit ich Hassan kannte, ein ganz anderer Mensch geworden war, aber er hatte mich doch ein beträchtliches Stückchen aus meinem Schneckenhaus gelockt. Er hat mir gutgetan. Ganz ohne Frage.
Aber war das genug, um sein Verhalten zu entschuldigen?
Nein!
Hassan war aufrichtig zerknirscht. Er rief mich drei Wochen lang fast täglich bei meinem Vater an und bettelte darum, sich entschuldigen zu dürfen. Ich ließ ihn nicht.
Einmal stand er mit einem riesigen Textilien-Knäuel in den Armen vor dem Haus meines Vaters, als ich nach Hause kam. »Mark!«, rief er. »Das sind Bettlaken! Ich seile mich ab, von wo immer du willst! Vom Fernsehturm, wenn du es verlangst! Ey, das schulde ich dir. Ich war so ein Schwein! Es tut mir leid, Mann! Es tut mir so leid! Ich wollte das nicht. Es ist einfach passiert!«
Ich ging an Hassan vorbei ins Haus, ohne ihn eines weiteren Blickes zu würdigen. Ich ließ ihn einfach da stehen mit seinem blöden Bettwäsche-Bündel.
Es fiel mir nicht leicht. Etwas in mir wollte ihm vergeben. Etwas in mir wünschte sich, dass alles so wurde wie früher. Doch ich brachte es nicht über mich, diesem Etwas nachzugeben.
Eines Abends, im Mai 1992, klingelte es an der Tür, als ich gerade mit meinem Vater im Garten saß. Es war ein herrlicher Frühlingstag und wir hatten den Grill angeschmissen. Der ganze Rost lag voll mit Rippchen, mariniert in Öl und Bohnenkraut. Ich verstehe bis heute nicht, wie man irgendetwas anderes grillen kann als Rippchen mit Bohnenkraut. Es gibt nichts, was besser schmeckt.
»Erwartest du jemanden?«, fragte mein Vater und ich schüttelte den Kopf. Ich erhob mich und ging zur Tür. Als ich durch den Türspion guckte, sah ich eine Frau, die mir vage bekannt vorkam, deren Gesicht ich aber nicht einordnen konnte. Ich öffnete die Tür …
… und kniff erschrocken die Augen zusammen! Gleißend helles Licht blendete mich! Eine schrille Frauenstimme kreischte irgendetwas, was ich nicht verstehen konnte. Ich hielt mir die Hand schützend vor das Gesicht. Was war hier los?
Hinter meinen geschlossenen Lidern bemerkte ich, dass das grelle Licht mir nun nicht mehr direkt ins Gesicht strahlte. Ich öffnete also zaghaft die Augen. Ich sah die Frau, einen Mann mit einer Kamera, auf dem ein kleiner Scheinwerfer befestigt war, vor den ein dritter Mann, der gleichzeitig ein Mikrophon auf mich richtete, die Hand hielt.
Ich blinzelte irritiert. Was sollte das? Die blonde Frau sagte meinen Namen, und ich nickte bloß mechanisch. Dann jubelte sie mit einer seltsam gekünstelten, marktschreierischen Stimme: »Wir sollen Ihnen eine Botschaft von Hassan Özdamar überbringen! Und dafür haben wir extra einen ganz besonderen Gast mitgebracht!«
In diesem Moment trat jemand hinter dem großen Busch hervor, der neben
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