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Königskinder

Königskinder

Titel: Königskinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gernot Gricksch
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Italo-Western mit den schwitzenden Desperados, die mit ihren Waffen im Anschlag in irgendeinem Wüstenkaff herumstehen und nicht wissen, ob sie die nächste Minute überleben werden. Dann wandte sich Hassan einfach ab, schloss die Tür auf und ging ins Haus. Sophie sah mich fragend an und folgte ihm dann. Ich ging den beiden – drei Konservendosen vom Boden aufnehmend – hinterher.
    Gemeinsam stiegen wir die Treppe zu Hassans Wohnung hinauf. Als er die Wohnungstür aufschloss, drehte er sich nicht zu mir um. Ich folgte ihm und Sophie in die Küche.
    »Möchtest du einen Mokka?«, fragte Sophie.
    »Gerne.«
    Hassan räumte die Einkäufe aus den Tüten in den Schrank, während Sophie den Wasserkocher füllte. Hassan tat so, als wäre ich gar nicht da. Er war so demonstrativ damit beschäftigt, das Gesicht von mir abzuwenden, dass ich ganz plötzlich begriff, was wirklich los war.
    Ich konnte es kaum glauben!
    Und dann lachte ich laut auf.
    »Du heulst!«, rief ich lachend. »Du flennst, Hassan!«
    Hassan – mir immer noch den Rücken zuwendend – knurrte: »Halt’s Maul, du Wichser!«
    Ich lachte noch lauter.
    Dann drehte sich Hassan zu mir, das Gesicht knallrot und die Augen voller Tränen. Er umarmte mich so stürmisch, dass mir die Luft wegblieb. Ich meinte sogar ein paar Knochen knacken zu hören.
    »Es tut mir so leid, Mann!«, schluchzte er.
    Ich schaute zu Sophie hinüber, die im Türrahmen stand und ebenfalls feuchte Augen hatte. Ich grinste sie unbeholfen an und merkte, wie sich mein Hals zusammenzog, ein untrügliches Zeichen dafür, dass auch bei mir die Tränen nur noch eine Frage der Zeit waren.
    »Was willst du bloß mit so einem Waschlappen?«, fragte ich Sophie so spöttisch, wie ich es gerade noch hinbekam.
     
    Sophie und Hassan zogen 1993 zusammen. Ich half beim Umzug. Es gab kein böses Blut mehr zwischen uns. Trotzdem war es nicht einfach, Hassan davon abzuhalten, sich wieder und wieder bei mir zu entschuldigen. Er hatte eine Tendenz zum Pathos – und echt eine schlimme Macke mit seiner »Ehre«. Als wir einmal in seinem Wohnzimmer saßen, eigentlich etwas auf seinem Sega Mega Drive spielen wollten und er schon wieder mit dem verdammten Thema anfing, platzte mir der Kragen. »Hassan, es reicht!«, rief ich. »Noch eine einzige Entschuldigung und ich haue dir in die Fresse!«
    Hassan lachte: »Das will ich sehen, wie du mir in die Fresse haust!«
    »Unterschätz mich nicht«, sagte ich. »Wenn ich sauer bin, werde ich zum Tier.«
    »Ja klar«, grinste Hassan. »Fragt sich nur was für ein Tier. Ein Hamster?« Er hob sein Kinn hoch und reckte mir sein Gesicht entgegen. »Schlag zu«, sagte er ganz cool. »Na los, im Ernst! Schlag zu!«
    Für einen kurzen Moment war ich versucht, es tatsächlich zu tun. Ganz tief in meinem Innersten hatte ich das Gefühl, Hassan verdiene noch eine Abreibung wegen seines Verrats an unserer Freundschaft. Ich ballte tatsächlich die Faust. Aber dann wurde mir klar, dass Hassan recht hatte. Ich schlug nicht. Ich würde niemals schlagen.
    »Siehste!«, lachte er triumphierend, als er sah, wie sich meine Faust wieder in eine Hand verwandelte. »Du bist ’ne Pussy! Voll das Mädchen.«
    »Halt den Mund, Hassan!«, rief Sophie aus der Küche. »Mark ist mehr Mann, als du es jemals sein wirst!«
    Ich grinste Hassan an.
    Er grinste zurück.
     
    Hassan und Sophie sind köstlich: Fünfzig Prozent der Zeit streiten sie sich wie zwei Kampfhunde, die andere Hälfte sind sie so verliebt ineinander, dass unbeteiligten Beobachtern ein Zuckerschock droht. Ich schätze, es ist wahre Liebe. Oder zumindest deutlich dichter dran, als Sophie und ich es je waren. Walter kann Hassan übrigens auf den Tod nicht ausstehen. Und das beruht auf Gegenseitigkeit.
    Es hat sich einiges geändert im Leben meines besten Freundes. Hassan schaut keine andere Frau mehr an. Halt, das stimmt nicht: Er schaut, bis ihm fast die Augen herausfallen, und er flirtet, als gäbe es kein Morgen. Aber weiter geht er nicht. Hassan hat Treue geschworen, und so schwer es ihm fällt, er scheint sich daran zu halten. Die Deutsche Post, die damals noch das Telefonmonopol innehatte, dürfte von dem Tag an, als Hassan und Sophie zusammenkamen, beträchtliche Einnahmeeinbußen gehabt haben: So viele Frauen, die sich plötzlich nicht mehr mit falschen Telefonnummern die Finger wund wählten.
     
    1993 brach ich endgültig mein Studium ab und widmete mich völlig meiner beruflichen Karriere. Ein Schritt, der mir

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