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Königskinder

Königskinder

Titel: Königskinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gernot Gricksch
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unserer Eingangstür stand. Dieser Jemand hatte eine Gitarre umgeschnallt, auf der er nun herumschrammelte und zu singen begann. Ich kannte den Typen nicht. Er sang irgendetwas von »Verzeih mir!«, wobei er das mit einem so albernen Tremolo anstimmte, als hätte er einen Stimmband-Kurzschluss. »Verzeiheih mihihihihiiiir!«, knödelte der Mann, der vielleicht Jürgen Drews war oder Bernhard Brink oder was weiß ich. Ist doch auch egal.
    Ich schlug die Tür zu und atmete schwer aus.
    Prompt klingelte die Verzeih-Tussi wieder.
    »Verpisst euch oder ich rufe die Polizei!«, schrie ich.
    »Aber«, kam es zaghaft von draußen.
    »Verschwindet!«, schrie ich noch einmal.
    Nach kurzem Zögern und einer knappen Diskussion, die ich nur gedämpft durch die Haustür hörte, verkrümelten sich dann die blonde Frau, der Kamera- und der Tonmann sowie der knödelnde Schlagerfuzzi endlich.
    Ich atmete schwer aus.
    »Er meint es doch nur gut«, sagte plötzlich eine leise Stimme. Hinter mir stand mein Vater, der den bizarren TV-Überfall aus sicherer Entfernung beobachtet hatte. »Hassan war doch immer dein bester Freund.«
    Ich seufzte.
    »Komm, Mark. Die Rippchen brennen sonst an«, sagte mein Vater und ging zurück in den Garten.
     
    Am nächsten Abend fuhr ich zu Hassan, um ihm ein für alle Mal zu sagen, dass er mich in Ruhe lassen sollte. Ich wollte ihn aus meinem Leben haben! Ich wollte keinen singenden Hitparaden-Dödel in meinem Garten und keine konstante Erinnerung an die schlimmste Demütigung, die ich je erlebt hatte!
    Ich wollte meine Ruhe.
    Ich stand vor seiner Wohnungstür – Hassan bewohnte eine kleine Eineinhalbzimmerwohnung in Bahrenfeld – und zögerte. Dann klingelte ich.
    Niemand öffnete.
    Ich verließ das Haus wieder und beschloss, im Tchibo-Laden gegenüber einen Kaffee zu trinken. Wenn Hassan in dieser Zeit nach Hause käme, dann würde ich ihn durch das Schaufenster sehen. Wenn nicht, würde ich wieder heimfahren und einfach hoffen, dass er von selbst so viel Einfühlungsvermögen aufbrachte, mich in Zukunft in Ruhe zu lassen.
    Ich hatte gerade die Milch in meinen Kaffee geschüttet, als ich ihn um die Ecke kommen sah. Er trug zwei große volle Plastiktüten von Aldi . Und dann sah ich, dass er nicht allein war: Hinter ihm tauchte Sophie auf, beladen mit nur einer, weniger prall gefüllten Tüte. Ich war mir nicht sicher, ob ich in ihrem Beisein mit Hassan sprechen wollte. Während ich noch zögerte und dabei gedankenverloren meinen Kaffee umrührte, sah ich, wie Hassan versuchte, die Haustür aufzuschließen, ihm dabei aber die beiden vollen Tüten in die Quere kamen. Anstatt den logischen und handlungschronologisch plausiblen Weg zu wählen, nämlich die Tüten einfach abzusetzen und dann in Ruhe die Tür aufzuschließen, wurschtelte Hassan dermaßen ungeschickt herum, dass eine der Tüten plötzlich riss und der Inhalt herauspurzelte: Cola-, Ravioli- und Erbsendosen rollten über den Gehweg. Sophie lachte laut auf, und auch Hassan begann, nach einem ersten herzhaften Fluchen zu lachen. Nun stellte er endlich die noch intakte Tüte ab und begann gemeinsam mit Sophie die herumliegenden Einkäufe aufzusammeln und vor der Eingangstür zu stapeln. Als sich beide nach derselben Dose Gulaschsuppe bückten und dabei mit den Köpfen zusammenstießen, lachten sie noch mehr. Sophie rieb sich den Kopf, Hassan untersuchte fürsorglich die Stelle an ihrer Stirn, wo sie zusammengestoßen waren. Dann küsste er Sophie dorthin. Ein fetter Schmatzer, aber trotzdem so voll von unübersehbarer Liebe und Fürsorge, dass ich ohne jeden Zweifel wusste, was ich nun tun musste. Ich beendete das unermüdliche Rühren in meiner Kaffeetasse, trat kurz entschlossen aus dem Tchibo-Laden und ging zu den beiden hinüber. Sie bemerkten mich erst, als ich eine Dose Erbsen aufhob und sie Hassan hinhielt.
    »Du solltest lieber Tiefkühlerbsen nehmen«, sagte ich. »In dieser Dosenscheiße ist nicht ein einziges Vitamin drin.«
    Hassan und Sophie starrten mich überrascht an. Es dauerte einen Moment, bis sie etwas sagen konnten.
    »Mein Kühlschrank hat kein Gefrierfach.« Hassan blieb erst einmal cool. Typisch. Erst spielt er mir eine reumütige Schmonzette vor, aber kaum ist Sophie dabei, schaltet er wieder in den Macho-Modus.
    »Hallo, Mark«, sagte Sophie. Unsicher und irgendwie ertappt.
    »Hey«, begrüßte ich sie.
    Wir schauten uns alle eine Weile an. Es lag eine beträchtliche Spannung in der Luft. Ein bisschen wie in diesen

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