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Königskinder

Königskinder

Titel: Königskinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gernot Gricksch
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permanente Opferrolle schönzureden. Zumindest im Falle Mobutu klappte das auch ganz gut, da mein afrikanischer Lover nie bis zu meiner Seele vorgedrungen war. Wir waren vögelnde Freunde. Wir taten uns gegenseitig gut, und als er verstohlen weinte, als er ein Jahr später zurück nach Zaire ging, um mit seinem frisch beendeten Maschinenbaustudium das Land aufbauen zu helfen, war ich auch ein bisschen gerührt. Aber zum Weinen reichte es bei mir nicht.

    1995 brach in Zaire die Ebola-Epidemie aus. Acht Wochen verwendete ich eine unbändige Energie darauf, Mobutus Spur aufzunehmen. Ich wollte wissen, ob es ihm gutging. Dass es ihm gutging. Kaum bestand die Gefahr, dass er in Gefahr schwebte, da regten sich auch schon Gefühle in mir, die ich ihm vorher nicht entgegengebracht hatte. Tag und Nacht hing ich am Telefon oder sprach irgendwo vor; ich redete auf unzählige Botschaftsangestellte ein, kontaktierte Hilfsorganisationen, fand über das Schwarze Brett in der Mensa einen Austauschstudenten, der die beiden Dialekte Lingala und Kikongo sprach, und ließ ihn zu immensen Kosten (die Billig-Vorwahl war damals noch nicht erfunden) in halb Zaire herumtelefonieren. Vergeblich. Ich war echt fertig.
    Schließlich erfuhr ich rein zufällig durch einen gemeinsamen Bekannten, dass Mobutu nur drei Monate nach seinem tränenreichen Abschied wieder nach Deutschland zurückgekehrt war. Er arbeitete nun in einer Gabelstaplerfabrik in Bietigheim-Bissingen, hatte in der schwäbischen Provinz eine dort lebende Zahnarzthelferin geschwängert und würde bald heiraten. Ich rief ihn an und freute mich aufrichtig, seine Stimme zu hören. Ich hatte mir acht Wochen lang Dutzende Male seinen qualvollen Tod vorgestellt und war so selig, dass sich das nun bloß als Hirngespinst entpuppte, dass ich ihm nicht einmal übelnahm, dass er sich nach seiner Rückkehr nach Deutschland nie bei mir gemeldet hatte. Er lud mich zu seiner Hochzeit ein, und ich spielte tatsächlich mit dem Gedanken, dorthin zu fahren, aber dann konnte ich mich doch nicht aufraffen. Ich wäre mir fehl am Platze vorgekommen.

    Ich wohnte inzwischen ganz allein. Zum ersten Mal in meinem Leben. Es gefiel mir nicht besonders. Zu einsam. Dafür liebte ich meinen neuen Job: Ich hatte es geschafft, halbtags als Assistentin der Pressesprecherin von Greenpeace angestellt zu werden. Greenpeace war mir früher nicht radikal genug gewesen, doch zwischenzeitlich hatte mir zu dämmern begonnen, dass man mit strategischem Handeln, Öffentlichkeitsarbeit und manipulativen Appellen an die emotionale Seite des Menschen (wir hatten einen ganzen Ordner voll Robbenbaby-Porträts) mitunter weiterkam, als wenn man ständig mit dem Kopf gegen die Wand rannte und dort kaum mehr als eine Delle hinterließ.

    Im November 1995 kam es in der Greenpeace -Zentrale Hamburg zu einem denkwürdigen Gespräch, das mein Leben gravierend verändern sollte.
    Es ging um Lederschildkröten.
    *
    Nachträglich gesehen war der große Schock nicht gewesen, dass Sophie mich mit meinem besten Freund betrogen hatte. Es war auch nicht die ernüchternde Erkenntnis, dass ich sie nie wirklich gekannt hatte. Dass ich dachte – vielleicht auch denken wollte  –, sie wäre die personifizierte Sanftmütigkeit und Güte und hätte keinerlei Untiefen. Der größte Schock war, dass ich mich nach dem ersten Schreck und dem Schmerz der demütigenden Ereignisse nicht wirklich unglücklich fühlte.
     
    Als ich nach meinem WG-Abenteuer nach Hause kam, war Sophie in Tränen aufgelöst gewesen. Sie hatte die ganze Nacht nach mir gesucht, hatte sogar versucht, die Polizei einzuschalten (die sich aber aus einleuchtendem Grund weigerten, eine großangelegte Fahndung zu starten, nachdem sie den kompletten Sachverhalt erfuhren) und hatte schließlich ihren Vater angerufen. Der hatte sie in Grund und Boden gebrüllt, ihr befohlen, sich bei mir zu entschuldigen, mir zu schwören, dass so etwas nie wieder geschehen und dass sie diesen Hassan niemals wiedersehen würde, und mich anzuflehen, die Hochzeit wegen ihrer Dummheit nicht zu verschieben. All das tat sie dann auch. Und zwar unter Tränen.
    Sophie weinte herzzerreißend. Sie schämte sich aufrichtig. Und sie war untröstlich, dass sie mich verletzt hatte. Sophie liebte mich, das weiß ich. Sie liebt mich noch heute. Aber sie liebt mich nicht leidenschaftlich. Sie liebt mich wie einen Bruder. Wie einen besten Freund.
    Ich erzählte ihr von meinem One-Night-Stand mit Luna. Aber ich tat es

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