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Königskinder

Königskinder

Titel: Königskinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gernot Gricksch
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die Treppe hinunter.
    Puh, das war noch einmal gutgegangen.

Kapitel 11
    1991–1995
    I ch merke, dass ich etwas ausufere mit meiner Schilderung. Ich wollte Dir, lieber Unbekannter, eigentlich bloß einen Brief schreiben … und jetzt sitze ich schon seit Tagen dran und spucke einen halben Roman aus. Aber so ist das nun mal bei mir: Die Dinge laufen ständig aus dem Ruder. Hier daher nun kurz und knapp, was als Nächstes passiert ist:
    1992 heirateten meine Eltern. Nach einem schlichten Ritual auf dem Standesamt Hamburg-Wandsbek feierten sie in einem kleinen Alternativ-Theater im Uni-Viertel. Es hieß Fool’s Garden, der Garten der Narren. Ein passender Name und ein passender Ort. Meine Mutter hat ständig geweint an diesem Tag. Vor Glück, hoffe ich. Alabama Karls Freunde haben bis morgens um vier Livemusik gemacht. Wir haben alle getanzt, Joints wanderten durch den Raum, und Papas Trauzeuge hat am Ende vor die Tür gekotzt. Es war ein wildes, schönes Fest, weil meine Eltern eben immer noch große Kinder waren. Das Aufräumen am nächsten Tag blieb natürlich größtenteils an mir hängen.

    1993 war ich kurz im Gefängnis, weil ich einem Polizisten in die Hand gebissen hatte. Er war selbst schuld!
    Ich hatte mich mit einem Dutzend anderen Leuten auf den Gleisen einer Bahnstrecke im Wendland festgekettet, um auf die Gefährlichkeit des Castor-Atommülltransports hinzuweisen und die Scheißer von der Atomlobby mit der Blockade des Transports so viel Geld wie möglich zu kosten. Es dauerte fast zwei Stunden, bis die Bullen uns alle von den Gleisen getrennt hatten.
    Eigentlich, das muss ich zugeben, waren die Polizisten sehr freundlich. Einer hielt mir eine schützende Holzplatte vor den Arm, während der andere mit einer Flex die massive Metallkette, die mein Handgelenk mit den Schienen verband, durchtrennte. Wir plauderten ganz nett, der Holzplatten-Halter und ich, wenn die Flex sich nicht gerade kreischend durchs Metall fräste. Er war ein bisschen schüchtern und hatte sehr schöne Ohren. Es war das erste und einzige Mal, dass ich die Ohren eines Mannes als attraktiv empfand. Nachdem wir entkettet waren, luden die Atomknechte uns in eine Bullenwanne und fuhren uns zum nächstgelegenen Revier. Und dort biss ich zu: Ein etwa fünfzigjähriger Polizist legte im Verhörraum nämlich seine Hand auf meinen Oberschenkel, als er mich fragte, was meine Eltern wohl von mir denken würden, wenn sie mich hier sähen. Ich riss seine Hand von meinem Bein und biss hinein. Als er aufhörte zu schreien und zwei weitere Polizisten in den Raum stürzten und mich festhielten, sagte ich ganz ruhig: »Meine Eltern würden denken, ich solle mich nicht von alten Säcken angrabschen lassen.«
    Es dauerte neunzehn Stunden, bevor ich vorerst auf freien Fuß gesetzt wurde. Der Polizist hatte Anzeige erstattet, doch als die linksalternative tageszeitung Wind von dem Vorfall bekam und zu recherchieren begann, bekam der Polizist Angst, ins Licht der Öffentlichkeit zu geraten. Er zog die Anzeige drei Tage später zurück, und ich darf mit Stolz berichten, dass ich seitdem niemanden mehr gebissen habe. Weder Ordnungshüter noch Zivilisten.

    1994 zog ich aus meiner WG aus und mit Mobutu zusammen. Mobutu kam aus Zaire. Wir lernten uns im April auf einem großen Fest in der Uni-Mensa kennen. Nelson Mandela war gerade zum Präsidenten Südafrikas gewählt worden und die Aktionsgruppe Afrika der Hamburger Studentenschaft beging dieses denkwürdige Ereignis mit Tanz- und Trommelgruppen, exotischen Leckerbissen und abendlichem Abtanzen. Mobutu studierte Maschinenbau und war wunderschön. Ein Bild von einem Mann – tiefschwarz, muskulös und trotzdem grazil. Ich bestreite nicht, dass diese Beziehung mit purer sexueller Lust begann, aber Mobutu entpuppte sich tatsächlich auch noch als unheimlich netter Kerl. Wir zogen schon nach wenigen Wochen zusammen, weil mir meine WG-Mitbewohner ohnehin alle langsam auf den Geist gingen, und auch wenn es bei mir niemals so etwas wie Liebe war, genoss ich die relative Zweisamkeit durchaus. Ich sage relativ, weil Mobutu, so lieb er auch war, einfach nicht nein sagen konnte, wenn Frauen sich ihm mehr oder weniger unverhohlen anboten. Und das kam oft vor. Es gibt echt eine Menge potenzielle weiße Massai-Muttis da draußen. Aber das war okay. Treue war für mich inzwischen ein konservatives Konzept, dem Freigeister nicht zu gehorchen brauchten. Ich war so oft betrogen worden, dass ich begonnen hatte, meine

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