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Königskinder

Königskinder

Titel: Königskinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gernot Gricksch
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selbstherrlicher Anzugsträger, der mit seiner aufgebrezelten Frau in teuren Hotels frühstückte und sich dann zu einem Meeting verabschiedete, während meine Frau shoppen und zum Visagisten ging und abends mit einer neuen Designer-Handtasche und noch mehr Haarspray auf dem bunt bemalten Kopf zurückkehrte.
    Während ich diese apokalyptische Vision meiner Zukunft hatte, bemerkte ich einen Koch, der mit einem Tablett durch den Raum ging. Er trug eine Schürze und eine große, weiße Kochmütze. Auf seinem Tablett lagen etwa zwanzig würfelförmige Häppchen. Jetzt fiel mir der kleine gedruckte Zettel wieder ein, der vor mir auf dem Tisch lag und den ich nur flüchtig registriert hatte, als ich Platz genommen hatte. In dem Hotel waren Iberische Wochen. Abends wurde in diesem Restaurant offenbar eine täglich wechselnde spanische Spezialität angeboten. Der Koch mit dem Tablett offerierte den Frühstücksgästen im Rahmen dieser Aktion nun wohl eine südeuropäische Frühstücks-Leckerei. Ich fixierte die Würfelchen auf dem Tablett etwas genauer und erkannte, dass es sich um Tortilla-Häppchen oder so etwas handelte. Der Koch trat an den Tisch der MacMoneysacs, lächelte und fragte: »Möchten Sie vielleicht auch einmal probieren?«
    »Was ist denn das?«, fragte einer der Männer.
    »Tortilla mit Pilzen und Paprika«, sagte der Koch.
    »Ja. Das klingt lecker«, sagte eine der Frauen. Und dann machte sie allen Ernstes Anstalten, dem Koch das komplette Tablett aus der Hand zu nehmen! Mit einer absoluten Selbstverständlichkeit wollte sie die fast zwei Dutzend Häppchen für ihren Tisch abgreifen! Der Koch, der ob dieser Dreistigkeit ebenso perplex war wie ich, hielt das Tablett dennoch eisern fest, und für zwei Sekunden sah es so aus, als würden er und die Frau mit der Betonfrisur um die Häppchen rangeln. Dann bemerkte die Frau ihren Fehler, lachte schrill auf und sagte: »Oh, hoppla!«
    »Probier doch erst mal, ob sie dir überhaupt schmecken!«, lachte ihr Mann.
    Auch der Koch quälte sich ein Lächeln heraus und legte dann jedem der vier MacMoneysacs ein Tortilla-Häppchen auf den Teller. Die vier lachten über das, was sie für einen kleinen, nur geringfügig peinlichen Fauxpas hielten. Für mich dagegen war es einer der verräterischsten Augenblicke, die ich je beobachtet habe. Der reflexartige Griff nach dem Ganzen, die völlige Ignoranz gegenüber der Tatsache, dass noch andere Leute im Raum existierten, die womöglich ebenfalls gern das Angebot genutzt hätten, das pompöse Ich! , das in den Köpfen dieser Menschen offenbar zu der ekelerregenden Größe eines Tumors aufgequollen war. Ein Tumor, der die spärlichen Reste sozialer Kompetenz an den Rand des Schädels quetschte und langsam, aber sicher erstickte.
    So etwas passiert mit einem, der zu lang im Land der MacMoneysacs lebt, schoss es mir durch den Kopf.
    Schlagartig wurde mir klar, dass ich mich auf einem Weg befand, den ich nicht weitergehen wollte. Das war es nicht, was ich wollte. Ich sollte nicht in Züricher Luxushotels sitzen und Szenen wie diese beobachten! Ich sollte weiterstudieren. Oder auf Partys gehen. Ich sollte Spaß haben, mich verlieben, das Leben ausloten und spätestens jetzt den Unfug nachholen, den ich bereits als Teenager hätte machen sollen.
    Ich hatte nur leider nicht den Hauch einer Ahnung, wie so was ging.
    Aber ich würde es herausfinden.
     
    Um zehn Uhr saßen mindestens drei hoch dotierte Bankmanager in einem Konferenzraum und warteten auf mich.
    Vergeblich.

Kapitel 14
    1997
    I ch legte die Tüte mit den Mohnbrötchen und die tageszeitung auf den Küchentisch. Es war ein liebgewonnenes Ritual geworden, an jedem Freitagmorgen mit meinen Eltern ausgiebig zu frühstücken. Meine Mutter öffnete ihren Laden erst um elf Uhr, deshalb mussten wir unsere Familienfrühstücke im Gegensatz zu den meisten anderen Menschen nicht unbedingt auf die Wochenenden legen. Mama hatte sich mit ihrem Laden inzwischen fast vollständig auf den Verkauf von esoterischen Artefakten, heilenden Steinen und Kristallen, Pendeln und Bachblüten konzentriert; Tee führte sie nur noch als Randprodukt. Da die Freunde der Esoterik offenbar ausnahmslos lange schliefen, wäre es Unsinn gewesen, das Geschäft bereits um neun oder zehn Uhr zu öffnen.
    Meine Mutter setzte Tee auf, während ich die Schlagzeile der Zeitung studierte. »Stell dir vor«, sagte ich. »Die haben ein Schaf geklont!«
    »Was sagst du, Saraswati?«, fragte meine Mutter, während sie

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