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Königskinder

Königskinder

Titel: Königskinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gernot Gricksch
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Arsch zu retten. Vielleicht würde man den Verräter ja in Dr. Winters Kanzlei vermuten? Tatsächlich hielt ich es für sehr wahrscheinlich, dass herauskommen würde, dass ich der Maulwurf war. Doch ich war bereit, dieses Risiko einzugehen. Was ich hier während der letzten Tage beobachtet hatte, die Dinge, die mir über Walter klargeworden waren, die schweren Bedenken über die moderne Form des Kolonialismus, an dem ich mich beteiligt hatte, und vor allem die blutende Frau in dem dünnen Sommerkleid – das alles hatte mich zu der ersten mutigen, moralischen, idealistischen Tat meines Lebens getrieben. Ich war zu Deep Throat geworden. Ich war verantwortlich für das, was ich nun insgeheim und amüsiert Waltergate nannte.
    Ich brach dem Mann, der beinahe mein Schwiegervater geworden wäre, zwar nicht einmal ansatzweise das Genick, aber zumindest den Fußknöchel. Walter kam ins Stolpern, als die Greenpeace -Anwälte vor Gericht auftrumpften und der Richter den Fortbestand der Lederschildkröte vorerst sicherte. Walter kochte vor Wut.
    Falls er mich je verdächtigte, an diesem Debakel schuld gewesen zu sein, sagte er es nie. Doch meinen Wunderkind-Status hatte ich am Ende unserer Reise verloren. Ebenso wie seine gönnerhafte Sympathie.
    Ich blieb noch drei Monate auf seiner Lohnliste, dann kündigte ich. Walter machte keinerlei Anstalten, mich zum Bleiben zu überreden.
    Ich war frei.
     
    Ich hatte während meiner Jahre in Walters Firma eine Menge Leute kennengelernt. Ich war so oft einflussreichen Menschen als Wunderkind vorgestellt worden, dass ich keine großen Schwierigkeiten hatte, ein Vorstellungsgespräch für einen neuen Job zu bekommen. So erwachte ich also eines Morgens um sieben Uhr in einem der teuersten Hotels von Zürich. Meine Kündigung bei Walter lag sechs Wochen zurück, die Ereignisse in Costa Rica knapp fünf Monate.
    Ich hatte um zehn Uhr einen Termin bei einer Privatbank, die einen Großteil ihrer Gewinne mit Immobiliendeals machte. Mein Wissen über die praktische Seite derartiger Geschäfte könnte der Bank beim Evaluieren von Projekten, Gebäuden und Grundstücken sehr nützlich sein, glaubte man dort. Ein ausgesprochen hoch dotierter Posten wurde mir in Aussicht gestellt; man hatte mir für den Abend zuvor einen Business-Class-Flug bei Swiss Air gebucht.
    Als ich nach dem Aufstehen und Duschen um kurz nach acht in das Hotelrestaurant trat, wo ein gigantisches und exklusives Frühstücksbüfett darauf wartete, von den anwesenden Gästen geplündert zu werden, suchte ich mir einen Platz in einer Ecke. Ich saß schon immer gern in Ecken. Ich bevorzuge es, möglichst unbemerkt zu bleiben und die Rolle des Beobachters einzunehmen.
    Ich hatte mir eine Schale Obstsalat vom Büfett geholt, trank Kaffee (nie wieder in meinem ganzen Leben schmeckte mir ein Kaffee allerdings so gut wie in Costa Rica) und baute ein kleines Türmchen aus zehn 12,5 Gramm schweren, rechteckig geformten Nutella -Miniplastikschälchen.
    Mir schräg gegenüber, nur ein paar Tische weiter, saßen zwei Männer und zwei Frauen. Mir sprang sofort ein Spitzname für das Quartett in den Kopf: Ich taufte sie in Anlehnung an Don Rosas Dagobert-Duck-Geschichten die MacMoneysacs . Die Männer waren in den Fünfzigern und steckten in teuren Anzügen. Ihre Frauen waren rund zehn Jahre jünger; sie trugen schicke Klamotten und Frisuren, die mit so viel Haarspray fixiert waren, dass ein kleiner Funke vermutlich ausgereicht hätte, die Damen in lebende Fackeln zu verwandeln. Sie waren stark geschminkt und mit Schmuck behängt. Sie hatten sich nicht bloß zurechtgemacht, sie hatten sich bemalt, modelliert und dekoriert. Bei diesen Frauen war kaum noch Natürlichkeit übrig. Die Männer dagegen waren Walter-Klone: Sie waren selbstherrlich, dozierend, auf jene Art dominant, die entsteht, wenn die Fähigkeit zur kritischen Selbstreflexion völlig abgestorben ist. Ihre Körpersprache war überdimensioniert, ihre Stimmen zu laut und hatten einen Duktus, der Tatsachen schuf. Ihr ganzer Habitus war erfüllt von einer tiefen Zufriedenheit mit sich selbst.
    Ich betrachtete die vier und fand sie außergewöhnlich widerlich. Was erstaunlich war, denn der halbe Frühstücksraum war von Kreaturen dieser Art gefüllt – und ich war solche Menschen mehr als gewohnt. Ich hatte in den letzten Jahren fast täglich mit solchen Gestalten zu tun gehabt. Doch jetzt fragte ich mich plötzlich, ob ich eines Tages womöglich auch so enden würde. Als

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