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Königskinder

Königskinder

Titel: Königskinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gernot Gricksch
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Partyhut! Er ragte über die meisten anderen Köpfe hinweg. Er prangte auf einem blonden Haarschopf. Und der gehörte einer sehr großen Frau!
    Nein, Moment …
    Das war keine Frau. Es war ein Transvestit! Und nicht einmal ein gewöhnlicher, sondern einer mit dem Körperbau eines ausgewachsenen Braunbären! Ich musste lachen. Das sollte meine Traumfrau sein?
    Ich machte kehrt und trollte mich kopfschüttelnd. Ja: Man musste offen sein für Neues im Leben. Aber das war mir denn doch ein bisschen zu ausgefallen.
    *
    »Mir ist übel«, sagte ich, setzte das blöde Papphütchen ab und gab es Clarissa-Knut zurück, der es sich wieder auf seine Heidi-Perücke stülpte. »Und ich muss nach Hause und mich bei Olaf entschuldigen.«
    »Viel Glück«, sagte Susann und umarmte mich.
    »Das nächste Jahr wird besser«, versprach Piet.
    »Schau’n wir mal«, seufzte ich. »Grüßt Hamburg von mir. Die fehlt mir irgendwie, die Stadt.«
    »Halt durch, Süße. Das Glück lauert, wo man es nicht erwartet«, sagte Knut und umarmte mich herzlich und betrunken. So ungefähr musste es sich anfühlen, wenn ein Eisbär einen gern hat.
    Ich winkte der lustigen Truppe noch einmal zu, während ich verschwand. Wir tauschten keine Telefonnummern aus oder so, weil das bei solch betrunkenen Kurzzeit-Begegnungen ein albernes und sinnloses Ritual war. Wir alle würden uns am nächsten Morgen fragen, ob wir im Suff irgendwelche blamablen Sachen geredet oder getan hatten. Und nüchtern würden wir uns womöglich absolut nichts zu sagen haben.
    Ich ging, nein: Ich torkelte zielstrebig die Dorotheenstraße entlang in Richtung des Bahnhofs Friedrichstraße, als ich Abertausende Menschen von rückwärts zählen hörte: »Neun, acht, sieben sechs …«
    *
    Ich blieb stehen, als der Countdown begann. Ich befand mich nicht mehr weit vom Bahnhof Friedrichstraße.
    »Fünf, vier, drei, zwei, eins … Prost Neujahr!«
    Menschen jubelten, umarmten sich, Raketen stiegen auf, es lärmte, krachte, rummste. Plötzlich war da nur noch Nebel von all dem Feuerwerk. Man sah nicht mal mehr die Hand vor Augen.
    »’tschulljung!«, nuschelte eine Frau, die mich im Vorbeidrängeln anrempelte, ohne dass ich auch nur einen kurzen Blick auf ihr Gesicht erhaschen konnte. Mir fiel die fast leere Sektflasche aus der Hand. »Klirr!«, gackerte die Frau, ohne sich umzudrehen. »Alles in Scherben. Alles kaputt.«
    »Yup!«, stimmte ich ihr in den Nebel hinein zu. »Alles kaputt.«
    *
    Ich habe Unmengen von Leuten angerempelt, während ich den Weg zur U-Bahn suchte. Es war so scheißneblig von all den Raketen und Böllern, dass ich selbst nüchtern nicht hätte sehen können, wohin ich lief. Doch irgendwann stand ich dann doch wie durch ein Wunder eingequetscht in der U-Bahn. Draußen funkelte, knallte und glitzerte es. In meinem Kopf herrschte ein dumpfes Dröhnen.
    Als ich zu Hause ankam und es mir mit einiger Mühe gelang, die Tür aufzuschließen, stolperte ich in die Wohnung und rief nach Olaf.
    Er war nicht da.
    Als ich in die perfekt aufgeräumte Küche torkelte, lag da ein Zettel auf dem Tisch.

    Du hättest einfach nein sagen können. Trotzdem: Frohes neues Jahr.
    Dein Olaf
    P. S.: Essen ist im Kühlschrank.

    Was für ein Schlappschwanz! Ich an seiner Stelle hätte das gesamte Hab und Gut der Schlampe, die mir so was antut, aus dem Fenster geschmissen. Und was machte dieser Dödel? Er wickelte mein Essen in Zellophanpapier ein!
    Leute gibt’s …

Kapitel 16
    2001
    E iner der großen Vorteile meines Lebens (ja, ein paar Vorteile gibt es schon!) ist die Tatsache, dass ich niemals viele Dinge anhäufe. Ich bin irgendwie immer nur auf der Durchreise. Und ich reise mit leichtem Gepäck. Bücher, die ich gelesen habe, verschenke ich. Klamotten, die ich nicht mehr mag und Schuhe, die ich nicht mehr trage, liegen bei mir nicht aus nostalgischen Gründen im Schrank herum. Ich bin das Kind einer Hippie-Mutter. Ich brauche nicht viele irdische Güter.
    Ich konnte also aus der WG, die gar keine war, binnen einer Woche verschwinden. Meine neuen Mitbewohner – diesmal wieder eine gemischte WG, die ich erfreulich schnell über einen Zettelaushang in einer Kneipe gefunden hatte – halfen mir, das bisschen Zeugs, das ich besaß, in drei Fuhren mit einem alten Golf zu transportieren.
    Und was war mit Olaf? Der war am Neujahrsabend zurückgekehrt und hatte ganz ruhig und nett gesagt: »Du, wir müssen reden, schätze ich. Willst du einen Tee?«
    Ich wollte keinen. Und ich

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