Königskinder
Geschäftsleute und Touristen. Die Berliner Bevölkerung hielt sich lieber an die Currywurst und die Pommes, die schräg gegenüber angeboten wurden. Wenn ich abends nach Haus kam, roch ich nach dem Bratfett, das von dort zu mir hinüberwehte, und dem rohen Fisch, mit dem ich herumhantierte. Seth liebte mich damals ganz besonders. Wenigstens einer.
Ich arbeitete von elf bis sechzehn Uhr. Danach wurde ich von Rüdiger abgelöst, einem dürren BWL-Studenten, der jeden Statisten der Star-Wars -Filme mit Vornamen kannte. Wenn kein Kunde kam, las er in der Computer Bild. Rüdiger war zweiundzwanzig Jahre alt und ein bisschen verknallt in mich. Wie gesagt: Ich war ein Luschen-Magnet. Rüdiger machte regelmäßig schüchterne Vorstöße, mit mir auszugehen. Aber so verzweifelt war ich dann doch noch nicht. Und außerdem hätte wahrscheinlich selbst der öde Rüdi das Interesse an mir verloren, wenn ich erst mal mit ihm in die Kiste gestiegen wäre. Also war es besser, ihn am ausgestreckten Arm verhungern zu lassen. Ich war allerdings dreist genug, Rüdiger zu bitten, meine Schicht zu übernehmen und mir obendrein seinen Wagen für den Umzug in meine erste eigene Wohnung in Berlin zu leihen. Er hatte den alten, ausgemusterten Kombi seiner Eltern übernommen, und der reichte, um mein noch weiter geschrumpftes Hab und Gut in meinen Single-Wohnwürfel zu transportieren.
Ich trug die paar Kartons, den kleinen Fernseher, den Korb mit Seth sowie zwei Reisetaschen voller Klamotten in meine neue Wohnung; einen Schrank und ein Bett hatte ich mir bei einem Möbelhaus bestellt, und beides war bereits geliefert sowie aufgebaut worden. Es war das erste Mal in meinem Leben, dass ich ein Bett besaß. Ich hatte das Gefühl, dass ich zu alt geworden war, um noch auf einer Matratze zu schlafen. Die restlichen Möbel wollte ich mir nach und nach anschaffen. Man kann über mich sagen, was man will, aber ich bin immerhin ein aufrichtig genügsamer Mensch.
Als ich mit meinem Mini-Umzug fertig war, holte ich den Wasserkocher aus einem der Kartons und brühte mir einen Instant-Kaffee auf. Dann schaltete ich den Fernseher ein. Ich erwartete eine Nachmittags-Talkshow, eines jener Brüllaffen-Spektakel, in dem haarsträubende Menschen in Jogginghosen sich pöbelnd dummes Zeug an den Kopf werfen. Ich schaute solche Sendungen gern, obwohl ich selten die Gelegenheit dazu hatte. Sie bauten mich auf. Man fühlt sich einfach besser, wenn man sieht, dass andere Leute noch dämlichere und ärmere Würstchen sind als man selbst. Allerdings registrierte ich immer wieder mit maßlosem Erstaunen, dass es stets die allerdümmsten Menschen zu sein schienen, die am festesten davon überzeugt waren, dass sie den Durchblick hatten. Ich hoffte, dass mir das nichts über mich selbst sagen sollte.
Mit einer gewissen Vorfreude stellte ich auf den Sender, der für seine nachmittäglichen Shows berühmt war. Ich erwartete eine blondierte, toupierte Tussi, die gerade ihren tumb dreinblickenden und garantiert breitbeinig dasitzenden Freund ankreischen würde, dass er mit der Chantal herummachte, obwohl er doch gerade erst ihr einen Braten in die Röhre geschoben hätte – doch dann sah ich etwas ganz anderes.
*
Vier Jahre lang hatte sich Hassan eisern widersetzt. Sophie ertrug es ihm zuliebe, nicht zu heiraten. Es ging meinem Kumpel zum einen ums Prinzip. Er wollte sich weder von seiner Familie – und erst recht nicht von Walter – vorschreiben lassen, was er zu tun hätte. Zum anderen hatte Hassan insgeheim eine Heidenangst, diesen endgültigen Schritt zu tun. Er liebte Sophie. Das sah ein Blinder mit Krückstock. Aber er sträubte sich, Nägel mit Köpfen zu machen. Er wollte seine Fluchtwege offenhalten. Doch als sein Sohn seinen vierten Geburtstag feierte, knickte er ein. Er konnte sich selbst nicht mehr einreden, dass er noch ein Junge war. Er war Familienvater. Und er wusste, wie sehr Sophie von einer Hochzeit träumte.
Hassan und Sophie kämpften, seit sie zusammen waren: Miteinander in unzähligen kleinen, aber niemals beziehungsbedrohenden Krächen, und mit ihren Familien. Vorwiegend mit Walter, der sein Enkelkind zum Beispiel unbedingt christlich getauft sehen wollte, was er sich aber abschreiben konnte, da sonst Hassans Familie stinksauer geworden wäre.
Es gab ständig schräge Kompromisse. Hassan und Sophie nannten ihren Sohn weder Mohammed, wie Hassan streitlustig vorgeschlagen hatte, noch Rudolf nach Walters Vater, wie es dessen Meinung nach die
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