Königsklingen (First Law - Band 3)
schüchterte ihn ein. In Marmorsälen herumzustehen, sich neue Kleider anpassen zu lassen, Eure Majestät genannt zu werden, das alles war ja ganz lustig, und es erforderte von ihm auch kaum großen Einsatz. Nun aber erwartete man, dass er im Herzen der Regierung Platz nahm. Jezal dan Luthar, der einst für seine überwältigende Unwissenheit gerühmt worden war, sollte einen Raum mit den zwölf mächtigsten Männern der Union teilen. Man würde von ihm verlangen, dass er Entscheidungen fällte, die das Leben Tausender von Menschen beeinflussen würden. Er würde auf der politischen, juristischen und diplomatischen Bühne bestehen müssen, wo er sich doch eigentlich wirklich nur im Fechten, Trinken und Herumpoussieren gut auskannte, und er musste sich eingestehen, dass er zumindest in diesem letzten Bereich auch nicht der Experte war, für den er sich lange gehalten hatte.
»Mit dem Geschlossenen Rat?« Seine Stimme ging eine Oktave nach oben und klang mehr nach einem kleinen Mädchen als nach einem König. Jezal musste sich räuspern. »Gibt es Dinge von besonderer Wichtigkeit?«, knurrte er dann in wenig überzeugendem Bass.
»Heute kamen äußerst entscheidende Nachrichten aus dem Norden.«
»Tatsächlich?«
»Lord Marschall Burr ist tot. Bedauerlicherweise. Das Heer braucht einen neuen Befehlshaber. Die Diskussion darüber wird vermutlich einige Stunden dauern. Hier entlang, Euer Majestät.«
»Einige Stunden?«, murmelte Jezal, dessen Stiefelabsätze die breiten Marmorstufen hinunterklapperten. Stunden in der Gesellschaft des Geschlossenen Rates. Nervös massierte er seine Hände.
Bayaz schien seine Gedanken zu erraten. »Sie müssen vor den alten Wölfen keine Angst haben. Sie sind ihr Herr, was auch immer sie inzwischen zu glauben scheinen. Jederzeit können Sie diese Männer ersetzen oder sie in Eisen schlagen lassen, falls Sie das wünschen sollten. Vielleicht haben sie das vergessen. Es könnte sein, dass wir sie beizeiten daran erinnern sollten.«
Sie traten durch ein hohes Tor, das von Rittern der Wacht flankiert war, die ihre Helme zwar unter dem Arm trugen, aber so sorgsam ausdruckslos nach vorn blickten, dass sie ihre Gesichter genauso gut hinter einem geschlossenen Visier hätten verstecken können. Dahinter lag ein offener Garten, der auf allen vier Seiten von einem schattigen Kreuzgang eingefasst wurde, dessen weiße Marmorsäulen wie belaubte Bäume gestaltet worden waren. Wasser sprudelte aus Springbrunnen hervor und funkelte im hellen Sonnenlicht. Zwei riesengroße, orangefarbene Vögel mit zweigdünnen Beinen und halbrunden Schnäbeln stolzierten selbstgefällig über einen perfekt geschnittenen Rasen. Sie starrten Jezal hochmütig an und bezweifelten offenbar ebenso wenig wie er selbst, dass er nichts als ein erbärmlicher Hochstapler war.
Er sah mit leerem Blick auf die bunten Blumen und das leuchtende Grün und die schönen Statuen. Er starrte zu den uralten Mauern empor, die mit roten, weißen und grünen Kletterpflanzen bewachsen waren. Konnte all dies wirklich ihm gehören? All dies, und dann auch noch der ganze Agriont? Wandelte er nun tatsächlich in den mächtigen Fußstapfen der alten Könige? Harod, Kasamir oder Arnault? Es brachte ihn völlig durcheinander. Jezal musste die Augen zukneifen und den Kopf schütteln, wie er es schon hundert Mal an diesem Tag getan hatte, schlicht um zu vermeiden, dass er vor Verwirrung einfach umfiel. War er nicht derselbe Mann wie noch letzte Woche? Derselbe Mann, der auf der großen Ebene im Regen durchgeweicht war, der zwischen den Steinen verwundet worden war, der halbgares Pferdefleisch gegessen hatte und froh darüber gewesen war, dass es so etwas überhaupt gab?
Jezal räusperte sich. »Ich würde sehr gern ... ich weiß nicht, ob das möglich wäre ... mit meinem Vater sprechen?«
»Ihr Vater ist tot.«
Jezal verfluchte sich innerlich. »Ja, natürlich ist er das, doch ich meinte ... den Mann, den ich für meinen Vater gehalten habe.«
»Was glauben Sie, was er Ihnen sagen würde? Dass er einige schlechte Entscheidungen gefällt hat? Dass er Schulden hatte? Dass er Geld von mir dafür annahm, dass er Sie aufzog?«
»Er hat Geld angenommen?«, fragte Jezal unsicher und fühlte sich noch verlorener als zuvor.
»Nur selten nimmt eine Familie ein Waisenkind rein aus Güte bei sich auf, noch nicht einmal, wenn es sich um ein besonders niedliches Gör handelt. Die Schulden wurden bezahlt, und nicht nur das. Ich gab die Anweisung, dass
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