Königsklingen (First Law - Band 3)
wurden.«
»Ein Fetzen Verband über einer eiternden Wunde!«, widersprach Marovia. »Es ist lediglich eine Frage der Zeit, bis der nächste Aufstand losbricht. Das können wir nur verhindern, indem wir dem gemeinen Mann das geben, was er braucht. Nicht mehr, als die Gerechtigkeit gebietet! Wir müssen ihn an der Regierung beteiligen.«
»Beteiligen!«, höhnte Sult.
»Wir müssen die Steuerlast auf die Landbesitzer übertragen!«
Halleck verdrehte die Augen. »Nicht schon wieder dieser Blödsinn!«
»Unser jetziges System hat sich jahrhundertelang bewährt!«, bellte Sult.
»Es ist seit Jahrhunderten gescheitert!«, schoss Marovia zurück.
Jezal räusperte sich, und die Köpfe der alten Männer fuhren ruckartig zu ihm herum. »Könnte nicht einfach jeder Mann im Verhältnis zu seinem Einkommen besteuert werden, egal, ob er nun Bauer ist oder Edelmann ... und dann, vielleicht ...« Seine Stimme verebbte. Es war ihm als eine ganz einfache Idee erschienen, aber nun starrten ihn diese elf Schreibtischtäter so entrüstet an, als habe man unbedachterweise ein Haustier ins Zimmer gelassen, das sich plötzlich erdreistete, etwas zum Thema Besteuerung zu sagen. Am anderen Ende des Tisches betrachtete Bayaz seine Fingernägel. Auch von ihm war keine Hilfe zu erwarten.
»Oh, Euer Majestät«, schnurrte Torlichorm mit beschwichtigender Stimme, »ein solches System wäre von der Verwaltung her so gut wie unmöglich.« Und dann blinzelte er ihn auf eine Weise an, als wollte er sagen: »Wie gelingt es Ihnen bei Ihrer unglaublichen Ignoranz überhaupt, sich allein anzukleiden?«
Jezal wurde rot bis zu den Ohren. »Ich verstehe.«
»Die Besteuerung«, dröhnte Halleck, »ist ein unglaublich komplexes Thema.« Damit warf er Jezal einen Blick zu, der ihm bedeutete: »Viel zu komplex, als dass es in Ihrem winzigen Hirn Platz hätte.«
»Es wäre vielleicht besser, Euer Majestät, wenn Sie die langweiligen Einzelfragen Ihren ergebenen Dienern überlassen würden.« Marovia zeigte ein verständnisvolles Lächeln, das sagen wollte: »Es wäre vielleicht besser, wenn Sie die Klappe halten und es unterlassen würden, die Erwachsenen in Verlegenheit zu bringen.«
»Natürlich.« Jezal sank beschämt auf seinem Stuhl zusammen. »Natürlich.«
Und so ging es weiter, während der Morgen voranschritt und die Lichtflecken der Fenster langsam über die Papierstapel auf dem großen Tisch wanderten. Allmählich begriff Jezal die Regeln, nach denen gespielt wurde. Sie waren schrecklich kompliziert und gleichzeitig erschreckend einfach. Die alternden Kontrahenten teilten sich in zwei Mannschaften. Erzlektor Sult und Kronrichter Marovia waren die Mannschaftskapitäne, die sich bei jedem Thema entschieden widersprachen, egal, wie unwichtig es war, und sie hatten jeweils drei Parteigänger, die jeder ihrer Äußerungen zustimmten. Lord Hoff spielte währenddessen die Rolle des Schiedsrichters, worin ihm Lord Marschall Varuz wenig erfolgreich zur Seite stand, und gab sich alle Mühe, die unüberwindliche Kluft zwischen den beiden verfeindeten Lagern zu überbrücken.
Jezal hatte irrtümlich angenommen, dass er gar nicht wüsste, was er sagen sollte, wobei das natürlich auch stimmte. Der Fehler war jedoch gewesen, dass er geglaubt hatte, es sei erwünscht, dass er etwas sagte. Die Anwesenden waren jedoch lediglich daran interessiert, ihre eigenen sinnlosen Grabenkämpfe weiter auszutragen. Sie hatten sich vermutlich längst daran gewöhnt, die Staatsgeschäfte mit einem sabbernden Halbidioten am Tisch zu führen. Jezal verstand: Sie gingen davon aus, er sei nicht anders als sein Vorgänger. Und er fragte sich allmählich, ob sie damit vielleicht recht hatten.
»Wenn Euer Majestät bitte hier unterschreiben würde ... und hier ... und hier ... und dort ...«
Die Feder kratzte über ein Papier nach dem anderen, die alten Stimmen salbaderten weiter, verkündeten ihre Standpunkte, stritten miteinander. Die grauen Männer lächelten und seufzten und schüttelten nachsichtig den Kopf, wenn er sprach, und daher sagte er allmählich immer weniger. Sie überrannten ihn mit Lob und blendeten ihn mit Erklärungen. Sie fesselten ihn stundenlang mit nichtssagenden Gesetzen, Formalien und Traditionen. Er wurde immer kleiner und kleiner auf seinem unbequemen Stuhl. Ein Diener brachte Wein, und er trank, nein, er betrank sich, langweilte sich und wurde immer betrunkener und gelangweilter. Eine Minute nach der anderen verging, quälend langsam, und Jezal
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