Königsklingen (First Law - Band 3)
Augen stach. Ein weißer Raum, viel zu hell erleuchtet.
Räume dieser Art sind mir bedauerlicherweise wohlvertraut. Und dennoch sehen sie von dieser Seite des Tisches wesentlich hässlicher aus.
Jemand saß ihm gegenüber. Jedenfalls der verschwommene Umriss eines Jemands. Er schloss ein Auge, konzentrierte sich auf das andere, und sein Blick klärte sich.
»Sieh da«, murmelte er. »Welch eine Überraschung.« »Eine angenehme doch, wie ich hoffe.«
»Das werden wir wohl noch herausfinden.« Carlot dan Eider hatte sich verändert.
Und ganz offenkundig ist ihr das Exil nicht gerade schlecht bekommen.
Ihr Haar war wieder nachgewachsen – noch nicht zu voller Länge, aber doch schon so weit, dass es sich auf sehr vorteilhafte Weise frisieren ließ. Die Würgemale um ihren Hals waren verblasst, und es waren nur noch ganz schwache Zeichen davon zu erkennen, dass ihre Wange einst von Schorf bedeckt gewesen war. Sie hatte das Sackleinen der Verräter gegen die Reisekleidung einer vermögenden Dame getauscht, und diese stand ihr äußerst gut. Juwelen glänzten an ihren Fingern und schimmerten an ihrem Hals. Sie wirkte wieder genauso reich und elegant wie bei ihrem ersten Treffen. Und außerdem lächelte sie.
Das Lächeln eines Spielers, der alle Trümpfe in seinen Händen hält. Wieso lerne ich es nie? Tue nie jemandem etwas Gutes. Schon gar nicht einer Frau.
Eine kleine Schere lag vor ihr in bequemer Reichweite auf dem Tisch. Eine Schere von der Art, wie sie von reichen Frauen zum Nagelschneiden verwendet wurde.
Aber sie taugt natürlich ebenso gut dazu, die Haut von den Sohlen eines Mannes zu ziehen, seine Nasenlöcher zu erweitern, ihm die Ohren abzuschneiden, einen Streifen nach dem anderen, ganz langsam ...
Glokta fand es höchst schwierig, den Blick von diesen polierten kleinen Klingen zu lösen, die im hellen Lampenlicht glitzerten. »Ich dachte, ich hätte Ihnen verboten, je zurückzukehren«, sagte er, aber seiner Stimme fehlte die übliche Autorität.
»Das taten Sie. Aber dann dachte ich ... wieso denn nicht? Ich habe Vermögen in dieser Stadt, auf das ich nicht verzichten wollte, und außerdem gibt es hier auch gute Möglichkeiten für neue Geschäfte, die ich gern nutzen möchte.« Sie nahm die Schere zur Hand, schnitt ein winziges Stück von einem bereits perfekt geformten Daumennagel und betrachtete das Ergebnis mit gerunzelter Stirn. »Und es ist ja sicherlich auch nicht so, dass Sie jemandem verraten würden, dass ich hier bin, oder?«
»Meine Sorgen um Ihre Sicherheit haben sich allesamt erledigt«, seufzte Glokta.
Die Sorgen um meine eigene wachsen allerdings mit jedem Augenblick. Selbst einen schon sehr verkrüppelten Mann kann man weiter zerstören.
»Mussten Sie sich denn tatsächlich so viel Mühe machen, nur um mir Ihre Reisepläne mitzuteilen?«
Ihr Lächeln wurde, wenn überhaupt, noch etwas breiter. »Ich hoffe, meine Männer haben Ihnen nicht wehgetan. Sie hatten den Auftrag, sanft mit Ihnen umzugehen. Zumindest jetzt noch.«
»Eine sanfte Entführung ist und bleibt aber eine Entführung, meinen Sie nicht auch?«
»Entführung ist so ein hässliches Wort. Wieso betrachten wir es nicht lieber als eine Einladung, der Sie nicht widerstehen konnten? Zumindest habe ich Ihnen Ihre Kleidung gelassen, nicht wahr?«
»Dieser Gefallen dürfte eine Gnade für uns beide darstellen, das kann ich Ihnen versichern. Eine Einladung wozu, wenn ich fragen darf? Abgesehen von einer schmerzhaften Rempelei und einem kurzen Gespräch?«
»Es verletzt mich, dass Ihnen das allein nicht genügt. Aber es gibt tatsächlich noch etwas, nun, da Sie mich darauf ansprechen.« Sie schnitt sich noch einen kleinen Nagelhalbmond ab, und ihre Augen huschten zu den seinen. »Eine kleine Schuld, die noch aus der Zeit in Dagoska übrig ist. Ich fürchte, ich werde nicht ruhig schlafen können, bevor sie nicht beglichen wurde.«
Ein paar Wochen in einer schwarzen Zelle und Bekanntschaft mit einer Würgekette, die beinahe zum Tod geführt hätte? Welche Art der Wiedergutmachung wird sie wohl von mir verlangen?
»Dann bitte«, zischte Glokta durch seine zahnlosen Kiefer, und sein Augenlid zuckte, als er den Scherenblättern bei ihrem Schnipp-schnipp-schnipp zusah. »Ich kann die Spannung kaum noch ertragen.«
»Die Gurkhisen kommen.«
Das hatte er nicht erwartet. Kurz stutzte er. »Hierher?«
»Ja. Nach Midderland. Nach Adua. Zu Ihnen. Sie haben im Geheimen eine Flotte gebaut. Gleich nach dem letzten Krieg haben sie damit
Weitere Kostenlose Bücher