Köpfe
meistens seine Phase der intensivsten Schaffenskraft. Ich betrat den Lift und fuhr zu Rhos Anlage hinunter, sechs Meter unter dem Labor. Die Eisgrube hallte wider, Stimmen von oben und von unten; die Laute schienen aus allen Richtungen zu kommen, während ich in dem offenen Lift abwärts fuhr, erst von links, dann von rechts, sie verebbten, schwollen wieder an, wurden leiser, ertönten in unmittelbarer Nähe. Rho kam durch die Luke oben in der Kammer und eilte aufgeregt auf mich zu. »William ist durchgedreht, aber wir lassen ihn während der meisten Zeit allein, es wird vorübergehen.« Sie schäumte vor Begeisterung fast über. »Oh, Mickey!« Sie schlang die Arme um mich.
»Ja?«
»Hast du es oben schon gehört? Wir haben uns in einen Kopf eingeschaltet! Es funktioniert. Komm rein! Wir arbeiten gerade am zweiten.«
»Einer der Unbekannten«, sagte ich aus höflichem Interesse; ihre Begeisterung steckte mich nicht an. (In welchem Maße konnte ich ihr die Schuld an den Problemen geben?)
»Ja. Noch einer von den Unbekannten. Ich bekomme immer noch keine Antwort von den Treuhändern von StarTime. Glaubst du, sie haben alle Sicherheitskopien der Daten verloren? Das wäre ja ein Ding, was?« Sie drängte mich durch die Luke in die Kammer. Im Innern der Kammer war es ganz still bis auf ein schwaches Singen der Elektronik und das dumpfe Zischen der Kühlmaschinen.
Ich erkannte Armand Cailetet-Davis, die kahl werdende, körperlich schmächtige Kanone der Cailetet-Forschung. Neben ihm stand Irma Stolbart von Onnes, eine angesehene mondgeborene Koryphäe, von der ich gehört, die ich aber niemals kennengelernt hatte: dreißig oder fünfunddreißig, groß und schlank mit rötlich braunen Haaren und einer schokoladenfarbenen Haut. Sie standen neben einem Gerät, das auf ein dreibeiniges Gestell montiert war, drei miteinander verbundene horizontale Zylinder, die auf die Vorderseite einer der vierzig übereinander aufgereihten Kästen aus Edelstahl zeigten.
Rho machte mich mit Cailetet-Davis und der Stolbart bekannt. Ich spürte, wie eine unbestimmte Erregung – die Erkenntnis darüber, was hier eigentlich vor sich ging – meine düstere Stimmung durchdrang.
»Wir wählen eine der dreiundsiebzig bekannten natürlichen Geistessprachen aus«, erklärte Armand und deutete dabei auf ein Denkerprisma in Irma Stolbarts Händen. Sie lächelte, sah mich kurz an, dann Armand, wandte sich wieder von uns ab und setzte die Arbeit an ihrem Denker fort, der etwa ein Zehntel so groß war wie Williams QL und leicht tragbar. »Wir untersuchen einige eingespeicherte Daten nach Mustern…«
»Muster, die der Kopf erzeugt hat«, sagte ich und machte damit eine auf der Hand liegende Bemerkung.
»Ja. Ein männliches Wesen, zum Zeitpunkt des Todes fünfundsechzig Jahre alt, anscheinend in guter Verfassung in Anbetracht des Entwicklungstandes der Medizin zur damaligen Zeit. Sehr geringe Zerstörung.«
»Haben Sie schon einen Blick ins Innere geworfen?« fragte ich.
Rho runzelte die Stirn. »Bruder, niemand wirft einen Blick ins Innere. Nicht, indem der Kasten tatsächlich geöffnet wird. Es ist uns gleichgültig, wie das Innere aussieht. «Sie lachte nervös. »Es geht nicht um den Kopf, es geht um das, was im Gehirn eingeschlossen ist.«
Die Seele womöglich? Ich zitterte vor Erschöpfung wie auch vor so etwas wie abergläubischer Ehrfurcht. »Entschuldigung«, sagte ich zu niemandem im besonderen. Sie schenkten mir keine Beachtung mehr, sondern konzentrierten sich auf ihre Arbeit.
»Wir stellen fest, daß die Nordeuropäer dazu neigen, sich in drei Programmbereichen zusammenzudrängen«, erklärte die Stolbart. Sie zeigte mir den Bildschirm einer Tafel, auf der ein Diagramm skizziert war. Die Darstellung zeigte zwölf verschiedene Rechtecke, jede mit der Bezeichnung einer kulturell-ethnischen Gruppe versehen. Ihr Finger unterstrich drei Kästchen: Finn/Skand/Teut. »Sprachspeicherungen im Gedächtnis gehören zu den genetischen Charakteristika, die sich am eindeutigsten zuordnen lassen. Wir glauben, daß sie sich durch die Jahrtausende wenig verändern. Das ergibt Sinn, wenn man die Notwendigkeit der sofortigen Anpassung eines Kleinkindes an seine Umgebung bedenkt.«
»Das ist richtig«, bestätigte Rho, wobei sie mich anlächelte und erneut meinen Arm sanft drückte. »Er ist also nordeuropäischer Abstammung?«
»Mit Sicherheit ist er kein Levantiner, Afrikaner oder Orientale«, sagte Irma Stolbart. Ich musterte sie neugierig.
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