Köpfe
Vertagung aller übrigen Themen gingen Thomas und ich in eine Kneipe von Port Yin und genehmigten uns zwei große Gläser frisches Bier; während der ersten fünf Minuten sprachen wir nicht viel.
»Gar nicht so schlecht«, bemerkte Thomas, nachdem er den letzten Rest aus dem Glas in sich hineingekippt hatte. »Wir sind nicht mit Glanz und Gloria untergegangen. Der derbe alte Klotz Richter sei gesegnet; man weide uns aus und vierteile uns, doch man lasse uns unsere Würde, bevor wir gespickt werden.«
»Ich möchte es Rho nicht sagen«, seufzte ich.
»Sie weiß es bereits, Micko. Mein Büro hat in der Eisgrube angerufen. Sie will mit Ihnen reden, aber ich möchte nicht, daß Sie mit irgend jemandem sprechen, bevor wir ein bißchen geplaudert haben. Einverstanden?«
Ich nickte.
»Bemerke ich da eine Veränderung in Ihrer Einstellung?« fragte Thomas sanft.
Ich lächelte. »Ja. Und in Ihrer?«
»Ich bin kein so guter Syndikus, wie Sie vielleicht denken, Micko.« Er tat meinen schwachen Einspruch mit einer Handbewegung ab. »Sparen Sie sich das für Ihre Memoiren. Ich konnte diese Dinge nicht verhindern. Aber ich kann die Folgen hinauszögern. Der Rat muß für uns einen Plan ausarbeiten, sich einen Weg ausdenken, um dieses Projekt mit einer minimalen Einbuße von Geldmitteln einzustellen. Das wird ein paar Wochen in Anspruch nehmen, und ich glaube nicht, daß die Task-Felders – weder Fiona noch ihr MB – die Dinge beschleunigen können. Ich werde dafür sorgen, daß sie es nicht tun, und wenn ich zu einem Mord Zuflucht nehmen muß.«
Er lächelte nicht. In meiner gegenwärtigen Gemütsverfassung war es mir gleichgültig, ob er es ernst meinte oder nicht.
»Wie Sie wissen, Micko, hatte ich immer meine Bedenken bezüglich dieses Projekts. Ich glaube, die Gründe, warum wir vor dem Rat verloren haben, sind weniger politischer als vielmehr psychologischer Natur – vielleicht sogar mystischer. Im tiefsten Innern glauben sie wahrscheinlich – und vielleicht glaube sogar ich es –, daß wir uns in etwas einmischen, in das wir uns nicht einmischen sollten. Wenn Rho erfolgreich ist, werden sich eine Menge Dinge ändern. Wir sind ein eigenartiger konservativer Haufen hier auf dem Mond, in geistiger und seelischer Hinsicht, so sehr wir auch unsere religiösen Betrachtungsweisen für uns selbst behalten.«
»Sie ist es«, sagte ich.
»Sie ist was?«
»Erfolgreich. Genauer gesagt, sie sind es.«
»Ach ja?«
»Sie haben sich Zugriff auf den geistigen Inhalt eines Kopfes verschafft. Zur Zeit arbeiten sie an einem zweiten. Wir kennen ihre Namen. Wir…«
Mein Gesicht verzerrte sich, und ich fing an zu zittern, fluchte, erhob mich halb. Etwas spazierte über mein zukünftiges Grab; ich sah buchstäblich einen Geist, der mit uns am Tisch saß, das Bild eines ungeheuer dicken Pharaos, von Eis überzogen, der uns haßerfüllt ansah. Thomas griff nach meinem Arm, und ich setzte mich wieder. Der Geist war verschwunden.
»Drehen Sie jetzt nicht durch, Mickey«, sagte Thomas. Einige Gäste sahen zu uns herüber. »Was ist los?«
»O Gott, ich weiß nicht, Thomas. Ich muß zurück zur Eisgrube. Ich hatte gerade eine Erscheinung, es war etwas ganz Schlimmes.«
»Können Sie es mir nicht sagen?«
»Du lieber Himmel, nein!« antwortete ich. »Es ist zu blöd und verrückt. Aber ich muß zurück.« Ich stand auf. »Bitte entschuldigen Sie mich. Es ist eine Ahnung, eine lächerliche Ahnung.«
»Sie sind entschuldigt«, sagte Thomas und schrieb die Zeche seinem persönlichen Konto gut.
ICH ERWISCHTE DAS LINIENSHUTTLE zur Eisgrube; das Glück und der Fahrplan waren auf meiner Seite. Ich war von einem Fieber der angeregten Unruhe ergriffen. Ich konnte meine Theorie nicht erschüttern. Mein Kopf schwirrte vor Ungläubigkeit; das konnte doch nicht sein, und doch paßte alles so glatt zusammen, und andererseits waren die Chancen mehr als astronomisch; und mir wurde klar, wenn ich mich irrte, und so mußte es zweifellos sein, dann wäre ich meine Stellung im MB Sandoval nicht wert. Ich müßte zurücktreten. Wenn ich mich solchen wilden Ahnungen hingab, wenn ich so sehr besessen davon sein konnte, dann war ich ein nutzloser Irrer.
Wir flogen über die äußere Energieerzeugungsanlage, ein helles rotes Gebäude, das sich gegen das blasse Grau des Staubs und der Steine abhob. Das Shuttle neigte sich über den Radiatoren der Eisgrube, die in ihren schattigen Gräben kauerten und in einem dumpfen Orangerot schimmerten, während sie
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